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Die Mär vom Küchenschuss

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Kunstschützen prahlen gern mit Schüssen auf Träger oder Kopf. Sie meinen, solche Stücke seien besonders gut zu verwerten. Das ist ein Irrtum.

Von Frank Rakow

 

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Drei tödliche Trefferzonen sind möglich, aber nur eine ist wirklich sinnvoll, damit das Wildbret gut zu verwerten ist. (Foto: Roman Fritsch)
Sie kennen sicherlich auch solche Spezialisten: Die Sauen liegen abholbereit am Kirrplatz mit Tellerschuss, das Reh wird mit Haupt- oder Trägertreffer angeliefert. Dazu die Bemerkung des Kunstschützen: „Bester Küchenschuss, nichts kaputt!“ Die Umstehenden nicken ehrfürchtig. Das Stück sieht natürlich von außen bestens aus. Der Rumpf des Wildkörpers ist unversehrt, der Wildhändler wird es mit Freude entgegennehmen. Abzüge Fehlanzeige. Dementsprechend stolz war ich auch, als es mir einmal gelang, einen laufkranken Damspießer mit einem Schuss von hinten auf den Träger blitzartig zu fällen. Doch welche Enttäuschung bei der Abgabe an den Verwerter: Nein, so ein Stück würde er nicht gern nehmen. Es sei zwar nur peripher verletzt, aber die Fleischqualität sei minderwertig. Nach der ersten Überraschung wollte ich es genau wissen, denn glücklicherweise stand mir mit Uwe Klautke aus Suderburg ein Mann vom Fach gegenüber: Fleischermeister mit zunächst eigenem Betrieb, jetzt Lehrer für „Fachpraxis Ernährung“ an der Berufsbildenden Schule Uelzen. Und nicht zu vergessen: Passionierter Jäger und Jagdschütze seit 1993. Der sogenannte Küchenschuss ist ein Thema, dass ihn nicht kalt lässt: „Was habe ich mir schon den Mund fusselig geredet. Aber diese Kunstschützen sind so stolz auf ihre Präzisionskünste, das bringt nur wenig.“ Einig ist sich der trotz seiner jungen Jahre erfahrene Jäger mit mir, dass Schüsse auf Haupt oder Träger höchst riskant sind: sehr bewegliche Körperteile, kleine tödliche Trefferfläche. Außerdem schlechte Voraussetzungen für eine Nachsuche bei miesem Treffersitz. Aber darum geht es dem Fachmann in Sachen Fleisch und Wildbret gar nicht. „Die Leute bilden sich ein, mit solchen Schüssen werde das Wildbret geschont. Das Gegenteil ist der Fall. Das komplette Stück wird entwertet.“ Das hört sich nun doch etwas übertrieben an, aber Uwe Klautke erklärt den Prozess:

 

Kammerjäger gefragt

 

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Berufsschullehrer für Ernährung, Fleischermeister und Jäger: Uwe Klautke. (Foto: Roman Fritsch)

„Das Wichtigste für eine hohe Fleischqualität ist das saubere Ausbluten“, betont er. Bei einem typischen Kammertreffer laufen nach dem Schuss Herz und Gehirn für eine kurze Zeit auf Höchststufe weiter. Dadurch entleert sich das ganze Blut in den Wildkörper. „So brutal es klingt: Ideal ist eine kurze Todesflucht mit anschließendem Schlegeln, weil es wie eine Pumpe das Blut aus den Adern befördert.“ Ist es deshalb auch wichtig, die Brandadern aufzuschärfen, will ich wissen. Für so entscheidend hält Klautke das nicht. Seine Empfehlung lautet: Der Jäger sollte immer nach dem Grundsatz verfahren, „Jeder Tropfen Blut, der rausläuft, ist gut.“ Was ist denn so gefährlich am Blut? Das Wildbret verdirbt durch die darin enthaltenen Mikroorganismen (Fäulniserreger), erklärt der Fleischermeister. Bleibt zu viel in den Adern, sieht von außen häufig noch alles gut aus, aber am Knochen fängt es schnell an zu müffeln. Das schnelle Herunterkühlen ist für ihn das A und O. „Wer es bei 2º länger ruhen lässt, hat nachher mehr Aromastoffe, denn erst die richtige Fleischreife bringt den Geschmack.“ Seine Empfehlung: Sauber geschossenes Wildbret erst 36 bis 48 Stunden nach der Totenstarre zu zerwirken, und es dann noch bis zu einer Woche bei konstant 2º vakuumiert liegen zu lassen, bevor es eingefroren wird.

 

Träger oder Kopf tabu

 

Es gibt eine Alternative: Gut ausdampfen lassen (nicht unter 14º), vor Einsetzen der Totenstarre in große Stücke zerwirken und dann Vakuum ziehen. „Damit wird den Keimen die Lebensgrundlage entzogen.“ Häufig ist Wildbret als Braten zäh und trocken. Auch dazu hat der 36-Jährige eine Antwort: „Meistens wurde das Stück vor oder in der Totenstarre eingefroren. Beim Auftauen setzt die Totenstarre ein, die Muskeln ziehen sich zusammen, das Eiweiß kann den Fleischsaft nicht binden, und schon ist alles furztrocken.“ Tritt auch bei zu schnellem Runterkühlen ein (cold shortening effect). Zurück zum Küchenschuss: Kopf oder Träger sind nach Ansicht von Klautke die schlechtesten Zielpunkte für eine qualitativ hochwertige Wildbretgewinnung. „Damit fällt auch Wurstproduktion oder Verwertung als Schinken flach. Also genau das Gegenteil von dem, was die Schützen erreichen wollen.“ Es sei denn, fügt er hinzu, die Schützen würden blitzschnell einen Kehlschnitt setzen, der das Stück wie beim Schächten langsam ausbluten lässt. Aber Jagd findet nun mal nicht auf dem Schlachthof, sondern im Revier statt. Die beiden Löcher im Kammerbereich, selbst wenn sie etwas größer sein sollten, stören ihn überhaupt nicht. Einen Bereich haben wir ganz ausgelassen: die Ästhetik. Wem hat es nicht schon mal leicht gewürgt, wenn er Stücke gesehen hat, deren Haupt/Kopf von der Kugel vollkommen entstellt wurde. Damit nimmt man dem Stück die letzte Würde. Und wenn auch ansonsten kein Vorteil von diesem Treffersitz zu erwarten ist, spricht alles dafür, den Zielpunkt dorthin zu setzen, wo er aus jeglicher Sicht sinnvollerweise hingehört: auf die Kammer.

 

 

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