Jagdpraxis Auf Jagd Knochenarbeit

Knochenarbeit

Ein bayerischer Hundeführer will mit schockierenden Bildern in seinen Diavorträgen Jäger nachdenklich stimmen.

Von Tobias Paulsen

Das Gebrech des Überläufers, der verendet an einer Buche liegt, ist weit aufgerissen. Ein abstoßender Anblick. Die Erklärung, die Walter Heim zu dem Dia liefert, ist vielleicht noch abstoßender: Zwei Tage habe er mit seinem Hannoverschen Schweißhund das Stück nachgesucht. Als er schließlich den Fangschuß antragen konnte, habe sich das Stück gerade mit den Läufen Fraß in das zerschossene Gebrech geschoben. „Meine Damen und Herren, das sind die Folgen von Tellerschüssen“, erklärt Heim den Mitgliedern des Ersten Frankfurter Jagdklubs.

Uwe Titus kennt den Vortrag bereits. Der Vorsitzende des Vereins „stolperte“ über den Nachsuchenführer beim Kreisjägertag des Hegerings VI in Obernburg. „Jetzt gehe ich 40 Jahre auf die Jagd“, führt Titus den Gastredner ein, „aber das habe ich so noch nicht erlebt.“ Gemeint ist damit wohl die „Strategie“ von Walter Heim. Schockierenden Bildern folgen Erläuterungen, warum man in bestimmten Situationen tunlichst den Finger gerade lassen sollte.

Darum nicht

Beispiel Überläufer: Der Forstamtmann aus dem Spessart zeigt nicht nur das Ergebnis eines mißlungenen Tellerschusses. Er erläutert auch am Skelett eines Wildschweines, warum die Wahrscheinlichkeit eines tödlichen Tellerschusses so gering ist. Er zeigt, wie klein im Verhältnis zum Körper der Sau die Fläche ist, die der Schütze treffen muß, damit die Sau im Knall liegt. „Es gibt nichts Schlimmeres für einen Hundeführer, als am Anschuß Zähne zu finden“, erklärt er seinen Zuhörern.

Zum Thema Anschuß und Pirschzeichen hat Walter Heim, der seit 1963 rund 2500 Nachsuchen zumeist erfolgreich durchgeführt hat, eine ganze Menge zu sagen. „Wer die Pirschzeichen findet und erkennt, hat bereits 50 Prozent der Nachsuche geschafft“, erläutert er. Und: „Wer schießt, sollte danach auch so lange suchen, bis er etwas findet.“ Doppeldeutig sagt er: „Die Suche nach dem Anschuß ist oft Knochenarbeit.“

Redet der Mann da nicht über eine Selbstverständlichkeit für waidgerechte Jäger? Es scheint nicht so, wenn sich Heim erinnert, daß er schon zu Anschüssen gerufen wurde und dann dort lediglich den Jagdaufseher antraf, der ungefähr wußte, wo der Anschuß sein könnte, den sein Jagdherr verursacht hatte. Oder wenn er die Jäger trifft, die sich absolut sicher sind, auf dem Blatt abgekommen zu sein. An den Anschüssen findet er dann Schnitthaar vom Stich, dem Bauch und der Keule.

Ehrlichkeit zählt

„Zur waidgerechten Jagd gehört einfach Ehrlichkeit“, redet er seinen Zuhörern ins Gewissen. Er erinnert sich auch an jenen Jäger, der einen Hirsch beschossen hatte und ebenfalls einen „ganz sicheren Schuß aufs Blatt“ abgegeben haben wollte. Heim und sein Hannoverscher Vierbeiner fanden den Hirsch später. Er war spitz von vorne in den Stich beschossen worden. „Der Jäger sagte mir dann, das sei nie im Leben der Hirsch, den er beschossen hätte. Erst als ich antwortete, dann könne ich ja den Hirsch mitnehmen, änderte der Jäger seine Meinung“, schüttelt der Hundemann noch heute den Kopf über die fehlende Einsicht, auch einmal einen Fehler zuzugeben.

Aber was tun, wenn der Jäger den Anschuß gefunden und markiert hat? Heim: „Suche ich sofort nach, ist der Erfolg vielleicht beim Teufel. Suche ich zu spät, dann verstoße ich womöglich gegen das Tierschutzgesetz oder die Fleischhygieneverordnung.“ Er hat es sich zum Prinzip gemacht, nach einem Laufschuß 15 Stunden, nach einem Waidwundschuß zehn Stunden mit der Nachsuche zu warten. Daß sich Jäger eine Schnitthaarsammlung der Wildarten zulegen, die sie überwiegend bejagen, setzt der Hundeführer als Selbstverständlichkeit voraus. „Damit kann eigentlich jeder Jäger ermitteln, wo sein Schuß letztendlich getroffen hat.“ Auch eine Knochensammlung von Anschüssen helfe später in der Praxis.

Keine Risikoschüsse

Heim warnt in seinen Vorträgen nicht nur die Waidmänner (und -frauen natürlich) vor riskanten Schüssen („der Trägerschuß ist und bleibt eine Schweinerei“). Der Hundeführer weiß seine Zuhörer auch mit Anekdoten aus seiner langjährigen Nachsuchepraxis zu fesseln. So erinnert er sich beispielsweise an seinen Forstkollegen, der ihn mitten in der Nacht aus dem Schlaf riß und zu einer Nachsuche rufen wollte. „Der Förster erzählte, er habe senkrecht von oben von einer Leiter aus einer Sau in den Schädel geschossen. Am Anschuß liege auch reichlich Hirnmasse, aber die Sau sei nicht da.“ Was tun? Heim riet dem Kollegen, vom Anschuß einen Meter nach vorne und danach dreimal rechtwinklig einen weiteren Meter abzuschreiten. „In diesem Geviert muß die Sau liegen, wenn Du sie so getroffen hast.“ Tatsächlich stellte sich später heraus, daß der Förster die Knorpelmasse des Gebrechs als Hirnmasse angesprochen hatte.

Die Botschaft des Hundemannes kommt bei seinen Frankfurter Zuhörern an: Riskante Schüsse vermeiden, Ehrlichkeit gegenüber dem Nachsuchenführer, wenn dennoch einmal ein Fehler unterlaufen ist, und die Bereitschaft, sich Sachkunde über Pirschzeichen anzueignen. „Wir Hundeführer wissen zwar, daß wir unser Leben danach einrichten müssen, jederzeit verfügbar zu sein. Mit ein wenig Sachkunde könnte aber so manche Nachsuche durch den Jäger selbst durchgeführt werden.“

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A

Das Geschoß hat Lunge und einen Lauf getroffen. Das Knochenmark hebt sich im Schweiß weiß ab.

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Bilder

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