Immer mehr Wölfe treiben sich in Deutschland herum. Nicht nur Weidevieh und Gatterwild ist in Gefahr, auch Jäger und ihre Hunde treffen auf den grauen Räuber. DJZ-Jurist Dr. Heiko Granzin nimmt kein Blatt vor den Mund und gibt Handlungsempfehlungen aus Jäger- und Juristensicht.
Foto: Sebastian Grell, dennis – AdobeStock.com
Als ich jünger war, schickten mir ab und an Freunde irgendwelche verwackelten Videos zu, welche mich „erregten“. Am liebsten waren mir die skandinavischen Clips – da ging es deutlich härter zur Sache. Und im Gegensatz zum ohnehin raren deutschen Filmangebot gab´s da am Ende meistens ein krachendes Finale. Mittlerweile bin ich ziemlich abgestumpft, und angesichts der Fülle des auch hierzulande verfügbaren Materials, bringt kaum noch etwas mein Blut in Wallung. Worum es geht? Wolfsvideos – was sonst?
Noch vor 10 Jahren war der graue Jäger in Deutschland ein seltener Gast. Mittlerweile ist der Wolf in einigen Regionen so häufig, dass die Freilandhaltung von Nutztieren zum agrarischen Masochismus verkommen ist. Am Streckenplatz beutearmer Drückjagden teile sich die Jäger aktuell eher beiläufig die Anzahl im Treiben gesichteter Isegrims mit.
„Zur Hölle mit ihm!“
„Meinetwegen soll der Grauhund zur Hölle fahren!“ Darf ich das sagen? Ja, darf ich! Mein Beruf nimmt mir nicht das Recht auf freie Meinungsäußerung, und es ist vollkommen egal, ob mir PETA oder völlig verwirrte Wolfsschmuser die Pest an den Hals wünschen. Als Jäger, Hundeführer, Hobby-Tierhalter und Nicht-Verbandsfunktionär muss ich nicht „mit den Wölfen heulen“ und geheuchelte Durchhalteparolen im Sinne von „Die Kreisjägerschaft XY begrüßt die Wiederkehr des Wolfes“ nachbrabbeln.
Nein – immer wenn ich irgendwo lese, dass einer der Grauen auf der Autobahn zu Brei gefahren wurde, huscht ein Lächeln über mein Gesicht. Doch der Straßenverkehr allein wird die fortschreitende Bestandsexplosion dieses jagdlichen Mitessers nicht aufhalten. Warum also nicht einfach zur Büchse greifen? Ganz einfach: Weil es (noch) nicht legal ist. Ganz verboten ist es allerdings auch nicht …
Wolf kennt kein Gesetz
Hier die Rechtslage: Nach § 7 Abs. 2 Nr. 14 und § 44 BNatSchG ist der Wolf streng geschützt. Jeder Verstoß, insbesondere natürlich das „Um-die-Ecke-Bringen“, gibt mächtig Ärger. Das gilt sogar bei verletzten Exemplaren. Nur die von den Behörden entsprechend bevollmächtigten Amtsveterinäre sind berechtigt, kranke oder verletzte Wölfe nötigenfalls zu töten. Wer in dieser Situation mit dem Schießprügel „Letzte Hilfe“ leistet, riskiert den Jagdschein. Gilt das auch im Fall der Notwehr? Wenn sich ein Mensch einem Wolfsangriff ausgesetzt sieht, so ist dies entgegen landläufiger Meinung noch kein Fall der „Notwehr“.
Warum?
Unter Notwehr wird nach § 32 StGB die erforderliche Verteidigung gegen einen gerade stattfindenden oder unmittelbar bevorstehenden „rechtswidrigen“ Angriff definiert. „Rechtswidrig“ bedeutet insofern, dass der Angreifer gegen die Gesetzeslage verstoßen muss. Dafür muss er aber zumindest wissen, dass es Gesetze gibt. Lesen kann der struppige Bursche aber nicht. Daher Notwehr = Fehlanzeige.
Das sieht nach einem bevorstehenden Angriff aus. Da ist alles erlaubt (Foto: Harald Grunwald)
Gegenwärtige Gefahr
Trotzdem muss niemand zum Wolfsvesper werden. Gemäß § 34 StGB handelt gerechtfertigt, wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden … „Gegenwärtig“ ist eine Gefahr, sofern sie jederzeit in einenSchaden umschlagen kann. Sie sehen sich dem Graurock gegenüber und dieser hat keine Ambitionen, den Rückzug anzutreten? Das ist eine Notstandslage. Die Tatsache, dass der Wolf nicht flüchtet, lässt erwarten, dass es jederzeit ernst wird und die Situation in einen „Schaden umschlägt“.
Also – „Feuer frei“?
Moment! Geht die Gefahr von einer Sache aus, ist vorher abzuwägen, ob „das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt“. Wenn Sie tatsächlich mit dem Graurock im Ring stehen und Isegrim beim Blick auf Ihren Hüftspeck schon das Wasser im Fang zusammenläuft, ist die Sache natürlich einfach. Denn – das menschliche Leben steht im Rahmen einer Rechtsgüterabwägung immer ganz oben. Das gilt auch dann, wenn Sie dafür die ganze Spezies canis lupus ausrotten müssten. Also: Feuer frei!
„Sache gegen Sache“
Anders sieht es leider aus, wenn es nur um Sachen geht. Der Wolf selber ist zwar auch eine Sache, gehört aber (weil er ja herrenlos ist) niemandem. Wenn sich nur „Sache gegen Sache“ gegenübersteht – wie zum Beispiel bei Tieren – muss ein feiner Vergleich zwischen dem Eigentumsrecht auf der einen und dem naturschutzrechtlich geheiligten Wolfsleben auf der anderen Seite vorgenommen werden.
Der überzogene Schutzstatus ist dabei ein deutliches Indiz für einen hohen (nicht-wirtschaftlichen) Wert. Bedient sich etwa der Wolf an einer Ihrer Gänse auf dem Hof, so müsste der wirtschaftliche Wert Gössels mit dem naturschutzrechtlichen Wert des Wolfes ins Verhältnis gesetzt werden. Gewinner: der Wolf.
Doch Geld und Naturschutz sind nicht alles, und auch Gefühle haben ihren Platz. Unabhängig davon, ob Sie den durchgeprüften drahthaarigen Sauenschreck „Knorx“ am Riemen führen oder „Schnuffel“, die 14-jährige blinde Mischlingsdame mit Dackellähme. Beide dürfen zu Recht erwarten, dass Sie – kommt es zur Konfrontation mit dem Wolf – Ihrem Drilling das letzte Wort überlassen.
Ungeachtet des Zuchtwertes und des nicht zu beziffernden Gegenwertes der Ausbildung des Vierläufers stellt allein die Bindung des Hundes zu Führer und Familie im Rahmen der Güterabwägung nämlich ebenfalls eine schützenswerte (nicht-wirtschaftliche) Rechtsposition dar.
Kann also eine rechtlich unbedenkliche Handlungsempfehlung für den Fall erteilt werden, dass ein bewaffneter Hundeführer eine Wolfsbegegnung hat?
Kommt es zu einem brenzligen Zusammentreffen und lässt sich der angeblich so wahnsinnig scheue Isegrim nicht (im Wortsinne) „auf ersten Zuruf“ zum Rückzug bewegen, so liegt nahe, dass die Situation jederzeit in einen Schaden umschlagen könnte.
Also – „Feuer frei“? Aus anwaltlicher Sicht eine gute Frage! Denn – „nichts Genaues weiß man nicht“. Bis jetzt musste sich noch kein Gericht in Deutschland mit einem Fall tödlich endender Wolfsabwehr beschäftigen. Als Jäger gefragt, wüsste ich hingegen ganz exakt, was ich meiner treuen Hündin in diesem Moment schuldig wäre!
Deutschland: Die Zahl der Wölfe nimmt weiterhin zu. Unangenehme Begegnungen keine Ausnahme (Foto: Willi Rolfes)
„Erbtantenprinzip“
Und danach? Eins vorweg, damit nicht später die Staatsanwaltschaft vorbei guckt: Es soll hier niemand zu irgendetwas angestiftet werden. Es geht nur darum, die Rechtslage darzulegen. Prinzipiell gilt der Rechtsgrundsatz, dass niemand an seiner eigenen Überführung mitzuwirken hat. Wer – warum auch immer – ein Tier einer „streng geschützten Art“ (neben dem Wolf z. b. auch Steinadler, Luchs oder Biber) um die Ecke gebracht hat, muss sich deswegen nicht freiwillig ans Schafott liefern.
Also, still und leise ab in die Biotonne mit dem pelzigen Kadaver? Keine gute Idee. Denn wer später doch geschnappt wird, dürfte eine Menge zu erklären haben – Notstand hin oder her.
Insofern gilt das „Erbtantenprinzip“ – tief graben und ewig schweigen. Oder Sie kommen zu mir. Wenn Sie ganz lieb fragen (so komme ich noch einmal auf die etwas schlüpfrigen Eingangszeilen zurück) mache ich es Ihnen vielleicht umsonst. (DJZ-Artikel 1/2019)