Über Rehwildkaliber wurde schon oft geschrieben. Doch was ist mit unseren geliebten Sauen? Darf es da etwas mehr sein oder reicht das Minimalprinzip? Von Christoph Tavernaro
(Fotos: Christoph Tavernaro)
In Rumänien in den Süd-Karpaten sind die Wilddichten nicht sehr hoch. Dafür sind die Chancen, einen wirklich starken sowie großen Keiler zu erlegen, umso höher. Gewichte jenseits der 150-Kilogramm-Grenze sind keine Seltenheit.
Das erste Knacken im verschneiten Wald lässt mich aufwerfen. Kurze Zeit später wieder ein Knacken. Es wird deutlich lauter und intensiver. Ein stattlicher Überläufer wechselt aus dem Einstand und so in meinen Schussbereich. Die Büchse gleitet in die Schulter, Spannen und Anschlag sind eins. Der Zielpunkt findet den Wurf, und das 11,7-Gramm-Teilmantel der .30-06 verlässt den Lauf. Wenige Momente später ist der Knall verschollen.
Die Sau hat auf 60 Meter in keinster Weise gezeichnet und ist ohne merkliche Reaktion einfach weitergezogen. Auch danach war kein Geräusch, kein Bersten der Äste oder eine kopflose Flucht wahrzunehmen.
30 Minuten später, das Treiben ist beendet, kontrolliere ich den Anschuss. Auch am Fährtenbild, welches deutlich im frischen Schnee steht, ist kein Anschuss zu erkennen. Keine Veränderung der Schrittlänge, kein Ausfallschritt und vor allem kein Schweiß. Nach 20 Minuten finde ich eine schwarze Borste im Schnee. Gute Hunde sind im Ausland oft rar, und so melde ich mich kurz bei der Gruppe ab, schultere mein Gewehr und folge langsam der Fährte. Auf den ersten 100 Metern finde ich im frischen weißen Schnee nichts, was auf einen Treffer hinweist. Doch auf einmal entdecke ich einen Schweißtropfen von der Größe eines Streichholz-Kopfes. Keine 10 Meter weiter den nächsten Tropfen. Nun wird der Schweiß stärker. Wie Puderzucker liegen viele kleine Tupfer auf dem verschneiten Waldboden.
Dann sehe ich ihn liegen, 280 Meter vom Anschuss entfernt. Ein 2-jähriger Keiler mit perfektem Schuss. Das Teilmantel-Geschoss hatte sich fast vollständig zerlegt, nur ein etwas größerer Splitter hatte den Wildkörper verlassen.
Der kalibergroße Ein- und Ausschuss der 95-Kilo-Sau war von einer dicken Schicht Feist verschlossen worden. Das 11,7-Gramm-Geschoss der .30-06 hatte seine Leistungsgrenze erreicht.
2. Beispiel
4 Wochen später im Odenwald. Ich stehe auf einer Schneise. Schussfeld knapp 30 Meter zu jeder Seite. Ich kenne den Stand und habe daher meine Doppelbüchse in 9,3 x 74 R dabei. Durch Rauschen kündigt sich eine Rotte an. Fast auf demselben Wechsel wie im Vorjahr erscheint eine Bache mit 5 Frischlingen. Kurz bevor sie den Weg überqueren, schlage ich die Doppelbüchse an, schwinge durch den ersten Frischling und lasse fliegen. Mit der Gewissheit, auf 25 Meter nicht gefehlt zu haben, suche ich den nächsten Frischling und schieße erneut. Mit riesen Getöse geht die Rotte ab. Der Ejektor schmeißt die Hülsen aus. Blitzschnell gleiten 2 neue 9,3 x 74 R mit 19 Gramm schweren TUG-Geschossen in die Lager.
Die Bühne ist leer
Ich höre einen Treiber kommen und bitte ihn, mal eben zu schauen, wo die Frischlinge liegen. Doch auf den 1. Blick findet er nichts. Nach Ende des Treibens erscheint der Hundeführer. Keine 50 Meter hinter dem Anschuss liegen beide Sauen im Abstand von 20 Meter mit sauberen Kammertreffern. Es wurden keine Rippen getroffen, beides waren hohe Lungenschüsse.
Das harte Teilmantel-Geschoss hatte zu wenig Widerstand, um aufzupilzen. Daher ist es ähnlich wie ein Vollmantel-Geschoss durch den Wildkörper gegangen und hat so lediglich einen kalibergroßen Ein- sowie Ausschuss verursacht. Hier war das 19 Gramm schwere TUG-Geschoss der 9,3 x 74 R für die kleinen Frischlinge einfach zu hart.
Der Treffersitz ist weit wichtiger als Geschoss und vor allem Kaliber
Sonderfall Sauen
Bei kaum einer anderen Wildart schwanken die Körpergewichte so massiv. Ein 10-Kilo-Frischling kann ebenso anwechseln wie das 150 Kilo-Hauptschwein. Sau-Schwarten sind zudem deutlich dicker als Decken anderer Schalenwild-Arten. Hinzu kommen die sehr harten und somit robusten Borsten, die nach einem Suhlen-Bad häufig noch widerstandsfähiger sind. So kann die Oberfläche einer Sau beinahe mit einem Panzer verglichen werden. Bei stärkeren Keilern kommt noch das Schild hinzu.
Ein Geschoss muss bei einer 70-Kilo-Sau in der Winterschwarte deutlich mehr durchschlagen als bei einem Stück Rotwild derselben Gewichtsklasse. Trifft das Projektil dann noch einen Knochen, zerlegt sich manch eines bereits. Und das sowohl auf der Einschuss- als auch Ausschussseite. Während bei vielen Schalenwildarten große Ausschüsse zu finden sind, geraten sie bei Sauen häufig nur kalibergroß.
Dass der geringere Wundkanal bei Sauen dann vom Feist verschlossen und wenig Schweiß zu finden ist, kommt oft vor. Das bedeutet, dass jede Sau, auch ohne Schweiß, nachgesucht werden muss!
Hier wird deutlich, dass das Geschoss bei Schwarzwild viel früher auf Widerstand trifft und somit viel eher mit der Expansion beginnt. Gerade mit einfachen Teilmantel-Geschossen und schwächeren Kalibern kommt es immer wieder zu fehlenden Ausschüssen. Laut Jagdgesetz müssen Kaliber für Sauen einen Geschossdurchmesser von mindestens 6,5 Millimeter und eine Auftreffenergie von mindestens 2.000 Joule auf 100 Meter haben. Somit sind die 6,5-Millimeter-Patronen, wie die 6,5 x 55 oder 6,5 x 57 R, die kleinsten gängigsten Sauenkaliber.
Nach oben gibt es keine Grenze. Eine .375 H & H gehört allerdings schon eher zu den Großwild- als Schwarzwild-Kalibern. Somit liegt der klassische Kaliber-Bereich für Sauen zwischen 6,5 sowie 9,3 Millimeter, das Geschossgewicht zwischen 5 und 20 Gramm.
Geschoss-Vielfalt
Primär unterscheiden wir heute Teilzerleger und Deformatoren. Und das sowohl bei bleifreien als auch bleihaltigen Geschossen. Teilmantel-Geschosse gibt es als einfache Zerleger, aber auch als Verbundkern-Geschosse. Sie haben in der Regel einen Mantel aus Tombak oder Flussstahl sowie einen Bleikern. Beim Verbundkern sind Mantel und Kern zusätzlich verbunden (bonded). Während das einfache Teilmantel-Geschoss stark splittert und dadurch entsprechend an Masse verliert, bleibt das Verbundkern-Geschoss deutlich massestabiler. Je nach Mantelstärke pilzen Verbundgeschosse mehr oder weniger kontrolliert auf und sind daher recht richtungsstabil.
Auf Drückjagden wird alles Wild, egal wie schwer, mit einer Kaliber-Geschoss-Kombination bejagt
Sonderfall Sau: dicke Schwarten und Borsten, teils stark verklumpt
Einfache Teilmantel-Geschosse können sich komplett zerlegen. Durch die starke Splitterabgabe sind Schockwirkung sowie Energieabgabe sehr hoch und der Wundkanal recht ausgeprägt, was häufig zu schnellem Verenden des Wildes führt.
Somit wird beim einfachen Teilmantel-Geschoss ein rasches Ansprechen des Projektils erreicht, wodurch sich eine hohe Augenblickswirkung ergibt. Häufig fehlt allerdings die Tiefenwirkung, weshalb mitunter auch der Ausschuss fehlt. Im schlimmsten Fall zerplatzt das Teilmantel-Geschoss fast auf der Schwarte.
Hochwertige Teilmantel-Geschosse, wie etwa RWS H-Mantel oder Doppelkern, bestehen daher aus 2 Teilen. Der vordere splittert, der hintere bleibt massestabil und soll dadurch einen sicheren Ausschuss liefern.
Verbundkern-Geschosse pilzen klassisch auf und vergrößern somit ihren Durchmesser. Durch den geringen Masseverlust sind sie recht richtungsstabil und erzeugen in der Regel Ausschuss. Aufgrund ihrer Unempfindlichkeit eignen sich diese Geschosse auch bedingt für Schüsse durch leichtes Blattwerk.
Um einen sicheren Ausschuss zu produzieren, muss das Geschoss den Wildkörper sicher durchschlagen. Dafür muss es zumindest im hinteren Teil massestabil sein, um ausreichend Restenergie zu haben. Außerdem muss es schwer genug sein und von ausreichend Power angetrieben werden, um diese Energie auch ins Ziel zu bringen.
Das Motto „viel hilft viel“ stimmt jedoch nur bedingt. Starke Kaliber funktionieren nur bei geeigneten Geschossen, und die müssen der Wildstärke angepasst sein. Die eierlegende Wollmilchsau gibt es daher auch beim Thema Kaliber und Geschoss nicht. Vom 5-Kilo-Kitz bis zum 150-Kilo-Keiler jagt der deutsche Jäger nämlich häufig alles mit ein- und derselben Kombination.
Fakt ist jedoch, dass ein größerer Querschnitt Vorteile hat. Somit sind stärkere Kaliber ab .30 bzw. 8 Millimeter im Vorteil. Gerade Schweißhundführer raten bei der Saujagd eher zu den dickeren Pillen, wie beispielsweise der 9,3 x 62, da der 9-Millimeter- Querschnitt eben größere Löcher stanzt als der 6-Millimeter-Querschnitt einer 6,5 x 55.
Selbstverständlich gilt aber immer noch der Grundsatz, dass der Treffersitz wichtigstes Kriterium ist. Doch wenn der eben schlecht ist, sind die dickeren Pillen eindeutig im Vorteil, da sie sicherer für Ausschüsse, Schweiß und Pirschzeichen sorgen.
Solche Pirschzeichen gibt es nur bei sicherem Ausschuss
Stärkere Patronen sind durch Mündungsbremsen und Schalldämpfer so zu zähmen, dass heute niemand mehr Angst vor ihnen haben muss.
Mindestens .30-06
Die Untergrenze für Sauen liegt für mich bei der .30-06. Allerdings bevorzuge ich Geschoss-Vielfalt und führe daher stets 3 Laborierungen gleichzeitig: ein schnell ansprechendes Teilmantel-Geschoss bei offenem Schussfeld (Hornady SST), ein bleifreies Geschoss für den Staatswald (SAX KJG) sowie eines für stärkere Sauen und dichtes Unterholz (RWS EVO). Alle Patronen schießen auf 100 Meter auf eine Kaffeetasse zusammen, das reicht! Alle 3 haben zudem ähnliche Geschwindigkeiten, sodass es keine extremen Unterschiede im Vorhaltemaß gibt.
Für starke Sauen im Ausland rate ich mindestens zur .300 Win. Mag oder 9,3 x 62, gerne auch zur 9,3 x 64 sowie .375 H & H. In diesem Sinne: Bei Sauen lieber etwas mehr als zu wenig!