Jagdpraxis Auf Waldgams – Schwarz auf Weiß

Auf Waldgams – Schwarz auf Weiß


Beim Wort Gamsjagern denkt man sofort an schroffe Felsen und tiefe Schluchten, an baumlose, verschneite Flächen und schwarze Teufel. Doch es muss nicht stets dem brunftigen Gratbock gelten. Auch der Waldgams macht Lust und Laune.

 
Pchiih! – rasch machen wir den Übeltäter aus. Eine abseits stehende Gamsgeiß hat Josef, den Jagdführer, und mich spitz bekommen. Gewaltige Mühe haben wir uns zuvor gemacht, um durch ein Latschenfeld auf allen Vieren an ein Rudel Gams mit einem reifen Platzbock heranzupirschen. Doch nun werden sie unruhig, setzen sich langsam in Bewegung und ziehen ein Kar hinauf. Das war’s!
 
Es ist November. Gestern lag noch dichter Nebel auf Berg und Tal. Er hielt seine Hand schützend über das Gamswild. An einen Aufstieg war nicht zu denken. Heute sind wir gegen 9 Uhr vom Tal aus aufgebrochen. Dessen verschneite Südseite haben wir gewählt, denn wie wir Menschen sucht ja auch der Gams die Wintersonne. Die Hoffnung auf reichlich Anblick beflügelt uns. Wir erfreuen uns an der weißen Pracht, den Latschen, der frischen Luft und eben der wohlig wärmenden Sonne.
 
Der Aufstieg ist für mich Flachlandtiroler beschwerlich. Enorm hilfreich der Bergstock, des Alpenjägers drittes Bein. Doch trotz dieser Steigehilfe hängt mir nach einigen hundert Höhenmetern der Lecker bis an die Bergstiefel. Josef ist zwar doppelt so alt wie ich, aber eben durchtrainiert bis in die letzte Muskelfaser. Ich bitte ihn, sich meinem Tempo anzupassen. Mit seinem halte ich nicht länger Schritt …
 
Knapp über die Baumgrenze waren wir gekommen, als wir ein 15 Kopf starkes Gamsrudel ausmachten. Doch dann geschah uns der eingangs beschriebene Patzer. Nun suchen wir uns erst einmal ein schönes Plätzchen mit atemberaubendem Blick auf den gegen gegenüberliegenden Nordhang. Speck und Brot aus dem Rucksack munden gut, ebenso der Obstler. Den Durst freilich löschen wir mit lauwarmem gesüßtem Tee. Der schmeckt scheußlich, hilft aber, frische Kräfte zu gewinnen.
 

 
Waldgams
Während wir so asern, erinnere ich mich an eine Bemerkung des Jagdschrifstellers Lothar Graf Hoensbroech. Sinngemäß schrieb er in seinen „Wanderjahren“: Sorgen, Geld,Politik, all das menschliche Krämerzeug habe er hier oben zu einem Bündel geschnürt und ins Tal geworfen. Möge der Teufel es holen! Hier spiele es keine Rolle, ja sei verschwunden. Hier werde der Mensch wieder Urmensch, hier sei er frei und Gott am nächsten. – Ja, so ist es! Ehrfürchtig blicke ich auf die sonnenumglitzerten Schneegipfel der gegenüberliegenden Felswand, dann auf den dunkelgrauen Gebirgsbach, der tief unten durchs Tal rauscht.
 
Nun stapfen wir wieder durch den kniehohen Schnee. Zunächst abwärts in den Fichtenwald, dann parallel zum Hang. Ich bin ein großer Freund der Jagd auf den Waldgams. Gratgamsen machen auch Spaß, aber der Jäger kommt meist nicht so dicht heran. Und dass ist doch die Kunst und vor allem das Vergnügen bei aller Pirsch, möglichst dicht und unbemerkt an die Beute zu gelangen.
 
Schweigend und langsam pirsche ich hinter Josef her. Der verhofft urplötzlich, regt sich nicht mehr und raunt mir nur zu: „Ein guter Gams. Mach dich fertig!” Und nun sehe ich ihn auch. Ein einzelner schwarzer Teufel ist nur etwa 80 Meter über uns im Hang. Ein alter 9- oder 10-jähriger Recke mit starken Krucken und schwachem Bart. Er hat uns nicht eräugt. Irgendetwas beschäftigt ihn, denn er richtet all seine Aufmerksamkeit nach oben.
 
Im Zeitlupentempo nehme ich den Repetierer von der Schulter, streiche an einem Bergahorn an. Dann repetiere ich durch. Da wendet sich der Gams uns zu. Neugierig äugt er hinab. Warum ist Gamswild eigentlich so verdammt neugierig, schießt es mir durch den Kopf. Denn das ist auch Grund meiner Chance: Noch steht der Gams spitz zu, und das Fadenkreuz ist auf dem Stich. Der Schuss bricht. Die Kugel sitzt. Der schwarze Recke purzelt uns ein paar Meter entgegen.
Jetzt haste ich nach oben, und Josef kommt gemächlich nach. Jubilierend fasse ich dem Bock in die mächtigen, gut gehakelten Krucken. Und dann umarme ich den Josef und kann mein Glück kaum fassen.
 
Dr. Rolf Roosen
 

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