In ihrem Dokumentarfilm „Wem gehört die Natur?“ beschäftigt sich Regisseurin und Autorin Alice Agneskirchner mit komplexen Fragen rund um das Thema Natur. Vor allem die Jagd steht dabei im Fokus. Kinostart des 96 Minuten Streifens ist am 10. Mai 2018.
Wem gehört die Natur? Den Tieren? Den Menschen? Oder sollte sie einfach sich selbst überlassen sein? Und gibt es sie überhaupt noch, die unberührte Natur? Fragen, die komplexer sind, als sie zunächst scheinen mögen. Auf der Suche nach einer Antwort führt uns der Dokumentarfilm „AUF DER JAGD. Wem gehört die Natur?“ in einen faszinierenden Mikrokosmos: unseren deutschen Wald.
Ab 10.05.2018 im Kino
Interview mit Regisseurin und Autorin Alice Agneskirchner
Die nächstliegende Frage stellen Sie bereits mit dem Filmtitel. Wem gehört denn die Natur?
Da sind natürlich viele Antworten richtig: Sie gehört uns allen, sie gehört den Menschen und den Tieren. Sie gehört am Ende niemandem sondern nur sich selbst. Ich will mich eben über den Filmtitel der komplexen Fragestellung annähern, wie überhaupt ein ideales Zusammenleben zwischen Mensch und Tier im Wald aussehen kann.
In dieser Auseinandersetzung steht vor allem die Jagd im Mittelpunkt. Warum haben Sie sich als vielseitige Filmemacherin entschieden, diesmal einen Dokumentarfilm im und um den Wald herum zu drehen?
Ich begebe mich bei all meinen Filmen gerne in Mikrokosmen, die ich noch nicht kenne. Ich hatte viele Artikel wahrgenommen, in denen Jäger sehr schlecht wegkamen – sie wurden entweder als Idioten oder Menschen dargestellt, die Lust am Töten haben. Da dachte ich, das kann so nicht sein, das wollte ich selbst kennen lernen. Abgesehen davon ist die Jagd ein großes Thema, ich wollte den philosophischen Gedanken dahinter ergründen: Wo stehen wir in der Natur? Wer gibt uns das Recht, wilde Tiere zu töten? Oder wer sagt uns, dass es Unrecht ist? Die Jäger, mit denen ich gesprochen habe, haben mir alle erzählt, unter welchem Druck sie bei der Jagd stehen. Sie müssen Abschussquoten und Drei-Jahres-Pläne einhalten, genau regulieren, wie viel männliches und weibliches Wild, wie viel altes und junges es gibt. Und alle Jäger in Deutschland sagen, dass diese Quoten irrsinnig hoch und schwer einzuhalten sind.
Was ist Ihre Meinung, ist die Jagd auf jeden Fall nötig?
Wir sind eines der wildreichsten Länder der Welt. Wir denken immer, das Wild lebt in Afrika oder Kanada, aber nicht bei uns. Dabei gibt es in Deutschland einen großen Reichtum an Rotwild, Damwild, Wölfen, Füchsen oder Vögeln. Das ist wirklich ungewöhnlich. Und wenn es die Jäger nicht gäbe, die diesen Bestand im Zaum halten, dann gäbe es den Artenreichtum vermutlich auch nicht, oder nicht mehr. Ich glaube, wir würden den „Wildreichtum“ bald als Belastung empfinden. Egal ob wir Landwirte sind oder Hobbygärtner.
Über die Jägerschaft in Deutschland gibt es viele Vorurteile.
In meinem Freundeskreis wurde dieses filmische Jagdprojekt von Anfang an sehr skeptisch beäugt. Viele in meinem Umfeld essen seit Jahren kein Fleisch mehr. Warum ich mich dem aussetzen würde, haben sie mich gefragt. Aber wir haben ja auch in Kanada mit Amerikanischen Ureinwohnern der Algonquin gedreht – das wiederum fanden meine Bekannten plötzlich sehr spannend. Keiner käme auf die Idee, die Jagd der Ureinwohner Nordamerikas oder Afrikas als moralisch nicht korrekt zu empfinden. Warum denken wir das von hiesigen Jägern? Es war schwer, in Deutschland Jäger zu treffen, die sich mir öffnen wollten. Viele hatten Angst, wie so oft in den Medien als „Mörder“ dargestellt zu werden. Es waren dann die Jägerinnen, die als erste bereit waren, mich zu treffen. Sie haben mir erklärt, wie Jagd, Fläche, Territorien, Reviergrößen und Jagdbehörden miteinander verbunden sind, wie alles zusammenhängt. Und dabei habe ich gelernt, dass es weder „den Jäger“ noch „die Jägerin“ gibt. Die meisten von ihnen haben große Fachkenntnis, Ehrfurcht und Respekt vor dem, was sie tun. Und es gibt auch immer mehr junge Männer und Frauen, die einen Jagdschein machen, um Wild selbst zu erlegen und so zu wissen, was sie da später essen. Dabei geht es ihnen auch um Regionalität.
In Ihrem Film sind beeindruckende Naturaufnahmen zu sehen. Er erscheint wie eine Huldigung an den Wald.
In erster Linie wollte ich ein filmisches Erlebnis schaffen, wie sich Jagd anfühlt. Natürlich werden viele Fakten vermittelt, der Film taucht ein in den Jagdalltag, man kann ihn als Zuschauer hautnah miterleben. Dafür hatten wir neben Johannes Imdahl für die dokumentarischen Drehs mit den Jägern auch Owen Prümm dabei, einen Tierfilmkameramann aus Südafrika, der einen ganz frischen Blick auf unsere deutsche Flora und Fauna werfen konnte. So sind wir den Tieren mit unseren Kameras mit sehr viel Geduld ganz nahe gekommen. Genau wie den Jägern, die sehr hilfsbereit waren und uns sehr unterstützt haben, als sie verstanden hatten, dass wir keinen Werbefilm für oder gegen die Jagd drehen wollen.
In Ihrem Dokumentarfilm wird der Wolf als ein effizienter Jäger neben dem Menschen vorgestellt. Könnte nicht er den Bestand regulieren?
Wildtiere leben nach Territorien. Ein Reh hat ein kleines Territorium, ein Wolf ein irrsinnig großes. Ein Wolfsrudel wäre nicht in der Lage, den Bestand in solch hohen Quoten zu regulieren, wie sie sie die unteren Jagdbehörden in den Landwirtschaftsministerien vorsehen. Der Mensch kann aber gut neben dem Wolf existieren. Ob wir Wölfe aber letztlich tatsächlich in unseren Wäldern haben wollen, ist eine Entscheidung, die die Gesellschaft gemeinschaftlich treffen muss.
Ein anderes Tier neben dem Wolf, das eine besondere Stellung im Film einnimmt, ist die Gams.
Ja. Sie lebt hoch in den Alpen, wo im Winter das Gras zugeschneit ist, gelegentlich frisst sie so auch junge Bäume. In den Gebieten, in denen sie lebt, wird seit 30 Jahren ein staatliches Aufforstprogramm betrieben, die sogenannte Schutzwaldsanierung. Es werden Jungbäume im Hochgebirge gepflanzt, die als Schutz vor Lawinen oder Bodenerosion dienen sollen. Aber die Sanierung kommt nicht gut voran. Daher gibt es einen erbitterten Streit – die staatlichen Stellen wollen, dass die Gams dort verschwindet, doch die Jäger wollen sie nicht weiter abschießen. Sie sagen, wenn sie das weiter tun, wird die Gams bald ausgerottet sein. Ein paradoxer Umstand: Die Jägerschaft will eine Tierart schützen, sie tötet das einzelne Tier nicht einfach so. Unser Film ist der erste, der dieses absurde Treiben in unseren Wäldern – ein Politikum – thematisiert.
Angesichts von Klimawandel und Umweltzerstörung – wie sähe Ihr ideales oder vielleicht sogar utopisches Bild von der perfekten Gesellschaft aus, die in Einklang mit Wald und Natur lebt?
Die Frage ist nicht, was mein ideales Bild ist, sondern für welches Modell wir uns als Gesellschaft entscheiden. Da macht es keinen Sinn, dass einzelne Teilnehmer der Debatte stigmatisiert werden – wie zum Beispiel die Jäger. Ich hoffe, dass AUF DER JAGD – WEM GEHÖRT DIE NATUR? einen guten Beitrag leistet, die Diskussion rund um das Zusammenleben von Mensch und Tier in unseren Wäldern auf eine sachliche Ebene zu bringen.
Interview mit Produzent Leopold Hoesch
AUF DER JAGD – WEM GEHÖRT DIE NATUR? ist ein Dokumentarfilm mit mehreren Protagonisten – ohne Liebesgeschichte und ohne Happy End. Wie konnten Sie sich darauf einlassen?
Als die Regisseurin Alice Agneskirchner mit dem Stoff auf uns zukam, hat mich das Thema von Anfang an sehr angesprochen. Es hat mich gereizt einen Film zu machen, der uns in unserem Lebensraum unmittelbar betrifft. Gleichzeitig hat mich ihre Haltung zum Thema Natur, Lebensräume, Tierwohl und Jagd überzeugt, die auf Grundlage von jahrelangen Recherchen entstanden ist und nicht einem politischen Mainstream folgte. Rein filmisch hat Alice eine besondere Gabe Menschen zu finden, die für etwas stehen und das mit einem Handwerk verbinden. In ihren Filmen lässt sie diese Menschen ausreden und gibt dem Zuschauer so die Möglichkeit, Profis bei der Arbeit zuzuschauen. Für mich gibt es fast nichts Interessanteres.
Welche Botschaft wollen Sie mit AUF DER JAGD – WEM GEHÖRT DIE NATUR? vermitteln – gerade auch an die Menschen, die der Jagd gegenüber Vorurteile haben?
AUF DER JAGD – WEM GEHÖRT DIE NATUR? ist ein Film über Lebensräume. Vielen Menschen ist nicht klar, dass die eigentliche „Natur” in Deutschland im Grunde kaum noch existiert. Sie wurde ersetzt durch eine von Menschenhand geschaffene Kulturlandschaft. Diese muss verwaltet werden im Einklang mit unseren ethischen Prinzipien. Dazu gehört auch die Aufteilung von Lebensräumen. Der Jäger spielt hierbei eine Rolle, die in der öffentlichen Wahrnehmung in den letzten Jahren immer mehr an Ansehen verloren hat – in meinen Augen zu Unrecht. Wir zeigen, was Jäger tun, und stellen sie neben die anderen Akteure in unserer Kulturlandschaft.
Wie würden Sie die Frage denn selbst beantworten? Wem gehört die Natur?
Wir leben in der Natur des Menschen und es ist unser Auftrag, diese in einem etwas besseren Zustand an unsere Nachkommen zu übergeben, als wir sie selber vorgefunden haben. Wir dürfen die Natur guten Gewissens nutzen, sie aber nicht verbrauchen.
Der Film steckt voller eindrucksvoller Naturaufnahmen, die gerade auf der großen Kinoleinwand wirken. Wie sind diese entstanden und wie riskant und schwer kalkulierbar sind die Tieraufnahmen gerade aus Produzenten-Sicht?
In Summe haben wir zwei Jahre in Deutschland, Österreich und der Schweiz mit höchstem technischen Standard in 4K gedreht. Orientierung war der Kalender der Natur, wir wollten alle Jahreszeiten und Entwicklungen des deutschen Wildtieres mit selbstgedrehten Aufnahmen abbilden. Wir sind oft mit Jägern unterwegs gewesen. Kam es zu einem Abschuss, waren wir dabei – rein dokumentarisch, ohne den Abschuss zu motivieren. Nach dem Dreh kam die Nachbearbeitung. Hier wurden wir beraten von vielen Fachleuten, die jedes Geräusch, jeden Ton, jede Tierstimme, jede Farbe, jedes Tiergeräusch noch einmal überprüft haben. Herausgekommen ist eine Symphonie aus Bildern und Tönen, die uns zwar ständig umgeben, doch die wir oft nicht mehr wahrnehmen. Nachdem man diesen Film gesehen hat, erlebt man den Wald anders.
Sie sind selber Jäger, war es Ihnen daher ein Anliegen einen Film über das Thema zu produzieren?
Mein Beruf ist Filmproduzent. Mein Anliegen ist es, starke Stoffe mit tollen Filmemachern zu realisieren. Dank einer guten Sender- und Förderstruktur ist das in Deutschland besonders gut möglich. Ziel ist es den Autoren dann die optimalen Arbeitsbedingungen zu gewährleisten. Das ZDF und arte als auch Film und Medienstiftung aus NRW und der FilmFernsehFonds aus Bayern haben uns hierbei vorbildlich unterstützt. BROADVIEW PICTURES stellt sich immer breiter auf. Nach den historischen Dokumentationen, produzieren Sie nun auch Naturdokus, auch Spielfilme gehören mittlerweile zum Portfolio. Welche Projekte stehen als nächstes an? Als nächstes kommen ein Zweiteiler über das Ende der Steinkohle und ein Kino-Dokumentarfilm über Fußballweltmeister und dreifachen Champions League-Gewinner Toni Kroos, als auch eine zehnteilige TV-Serie über Nordrhein-Westfalen in den 80er Jahren.