Die Frühjahrsjagd auf Schmaltiere und -spießer ist sicher sehr stimmungsvoll. Aus wildbiologischer Sicht ist sie aber differenzierter zu betrachten.
Von Von Dr. Helmuth Wölfel
Der Blick zwischen die Keulen ist unerlässlich, bringt aber beim Rotwild keine hundertprozentige Sicherheit. |
Der Bitte der DJZ-Redaktion, zur Frühjahrsjagd auf Schmaltiere und Schmalspießer aus biologischer Sicht kurz Stellung zu nehmen, komme ich gern nach. Allerdings will ich mich dabei nicht ausschließlich auf wildbiologische Grundlagen beschränken, sondern auch jagdethische Gedanken und bejagungstechnische Aspekte berücksichtigen. Schließlich gehört das ja alles zusammen.
Nicht zu leugnen ist die Romantik eines Frühjahrsansitzes. Das Vogelkonzert im kühlen Morgenerwachen oder der in die angenehm erwärmte Luft gurrende Tauber in der Abenddämmerung, gepaart mit einer guten Beobachtbarkeit des Wildes, das hat schon was! Das Wild verhält sich – weil schon länger unbejagt, mit der Jungen-Aufzucht beschäftigt und noch gierig auf das frische Grün – verhältnismäßig vertraut.
Außerdem ist man nun nicht so sehr durch andere jagdbetriebliche Zwänge eingeengt, ist selbst auch gierig, den Frühling im Revier zu erleben. Die Option auf Beute kommt noch hinzu. Diese Option, hier die Schmaltier- und -spießerbejagung, soll kritisch betrachtet werden.
Schmaltiere und -spießer im Frühjahr
Schmaltiere und -spießer scheinen im Juni vorübergehend führungslos zu sein, und sind deshalb etwas einfacher zu erbeuten. Tatsächlich sind diese Halbstarken aber nun nicht ungeführt, sondern nur kurzfristig vom Muttertier etwas auf Distanz an der langen Leine gehalten, um nach dem Setzakt und der Abliegephase des neugeborenen Halbgeschwisters nach ein bis zwei Wochen wieder Vollmitglied der Mutterfamilie (Gynopädium) zu sein und in diesem Verband noch gut ein halbes Jahr geführt zu werden.
Die lange Leine existierte hauptsächlich in Form einer geruchlichen Verbindung, aber auch durch akustische Stimmfühlung und Kontaktlaute. Sichtkontakte werden in dieser Phase vom Alttier nicht geduldet und umgehend mit Drohgebärden und kurzen Scheinattacken quittiert. Die Distanz zwischen dem führenden Tier und seinem Vorjahrskalb beträgt dabei meist um 70 und selten mehr als 100 Meter.
Pro und contra zur Frühjahrs-Bejagung
Alttiere bekommen also eine Juni-Erlegung ihres Vorjahreskalbs zwar nicht hautnah aber doch vollinhaltlich mit. Damit soll hier das Jagdgeschehen nicht dramatisiert werden. Beute machen hat schließlich immer mit Töten zu tun, und es entsteht, gerade bei so sozialen Arten wie dem Rotwild, immer Leid. Es soll hier nur mit der Mär aufgeräumt werden, die Juni-Bejagung von Schmaltieren und Schmalspießern sei besonders wildpfleglich, sanft oder störungsarm.
Eindeutig in den Contra-Bereich rutscht diese Frühjahrsbejagung durch den Umstand, dass eine eindeutige Diagnose Alttier oder Schmaltier letztlich nur von Profis vorgenommen werden kann. Das Ansprechen ist hier wesentlich schwieriger als die zwischen Ricken (Geißen) und Schmalrehen. Denn beim Rotwild weisen führende Stücke nicht selten ein für den Jäger kaum sichtbares Gesäuge auf. Somit ist die Spinne, anders als beim Reh, hier kein brauchbares Unterscheidungsmerkmal.
Die wenigen Spezialisten, die mit der besprochenen Frühjahrsbejagung auch zahlenmäßig erfolgreich sind, können und dürfen nicht als Grundlage für diese Betrachtung herangezogen werden. Selbst wenn wir die relativ leicht anzusprechenden Schmalspießer hinzuziehen, müssen wir die Anzahl der bei der Frühjahrs-Entnahme zur Strecke kommenden Stücke im Verhältnis zur Gesamtstrecke in den Bereich sehr gering bis vernachlässigbar stufen. Subjektiv allerdings wird die Effektivität der Frühjahrsbejagung von uns meist weit überschätzt, weil der hohe Erlebniswert die Anzahl der tatsächlichen Erlegungen und somit des insgesamt Geschafften überdeckt. Die Abschusszahlen sprechen da eine ganz andere Sprache. Und auch das ungünstige Verhältnis von der Anzahl der Ansitz-Stunden zur Anzahl der Sichtbeobachtungen und der Anzahl der Erlegungen spricht nicht unbedingt für die gerne herangezogene, aber nur scheinbar gegebene Störungsminimierung.
Das Frühjahr ist für unsere Wildtiere die sensibelste Jahreszeit. Sie regenerieren durch reichlich vorhandene Äsung nach dem winterlichen Nahrungsengpass und sind mit der Jungenaufzucht befasst. Von der Blaumeise bis zum Rotwild. An dieser Stelle wird zwar häufig als Gegenargument genannt, durch die Rehbockjagd sei man ohnehin im Revier und störe somit nicht zusätzlich. Erstens ist das meines Erachtens ein Scheinargument, denn wer auf Schmaltiere und -spießer aus ist, hat ein anderes Suchbild und bezieht meist andere Stände als der Bockjäger. Und zweitens ist diese Begründung nicht zulässig, weil man eben neue Fehler nicht durch bereits begangene rechtfertigen darf. Würde der Rehbock zur selben Jahreszeit verfegen wie der Rothirsch, wären wir insgesamt gar nicht auf die Idee einer Frühjahrs-Bejagung gekommen. Hier rangieren wohl Eigennutz und Komfortverhalten vor der so viel zitierten Waidgerechtigkeit.
Aus biologischer Sicht müssten wir uns also grundsätzlich gegen jegliche Frühjahrsbejagung aussprechen. Dieses grundsätzlich signalisiert aber schon, dass es in unserer Kulturlandschaft auch Ausnahmen geben muss und wird. Je nach vorhersehbaren oder unvorhersehbaren Vorkommnissen, je nach Gelände- und Reviergegebenheiten und je nach vorgegebener Zielsetzung. So wird man in landwirtschaftlich genutzten Gebieten auf eine Frühjahrsbejagung des Rehwilds lokal oft nicht verzichten können, im Wald könnte man gut und gerne auch zur Blattzeit starten und dann auch Schmaltiere und Schmalspießer in den Monaten Juni und Juli in Ruhe lassen.
Als Pro-Argument zur Frühjahrsbejagung wird häufig der nun nach körperlichen Merkmalen gut durchführbare Wahlabschuss herangezogen. Das klingt zwar gut, stimmt aber nur in den seltensten Fällen. Wonach sollen oder wollen wir denn auswählen? Nach der Körpergröße oder dem Gewicht bei den Schmaltieren? Nach den Plüsch-Knubbeln bei den Schmalspießern?
Welche Argumente sprechen aber nun für eine Juni-Bejagung des Rotwildes? Aus wildbiologischer Sicht keine. Es sei denn, wir entschließen uns zur Effektivitäts-Erhöhung und Störungs-Verringerung zu einer konzertierten Aktion in Form von zeitgleichen, Revier übergreifenden, entsprechend großflächig angelegten Gemeinschaftsansitzen. Diese Maßnahme könnte mancherorts zweckmäßig und Ziel führend sein, soweit Könner und Kenner am Werk sind.
Niemand sollte aber nun wegen der hier zur Juni-Bejagung des Rotwildes geäußerten Bedenken in mir eine Aversion gegenüber der Ansitzjagd an sich vermuten. Ich halte diese Jagdform neben anderen für gut und unverzichtbar.
Würden wir unser Wild ausschließlich mittels unterschiedlicher Bewegungsjagden strecken, ginge ein guter Teil wichtiger Beobachtungen und somit auch unserer Identifikation mit den Wildtieren in ihrem Lebensraum verloren. Es gehört eben auch zur Jagd, die Ricke (Geiß) mit ihren Kitzen, die Fuchs-Fähe mit ihren Welpen, den Feldhasen beim Sand-Bad oder die Drossel bei ihrer Morgentoilette zu beobachten. Alles Dinge, die man in dieser Form bei Bewegungsjagden nicht sieht. Da reduziert sich die Beobachtung größtenteils auf die Ja-Nein-Entscheidung: passieren lassen oder erlegen. Das ist auch spannend, auch verantwortungsvoll, auch notwendig, aber eben nicht alles, was zum Jagen und unserer Jagdtradition gehört.
Aber ist der Frühjahrsansitz denn wirklich nur mit der Option einer Erlegung reizvoll? Wenn das Fernglas schon nicht reicht, gibt es schließlich auch ausgezeichnete Kameras mit hervorragender Teleoptik für ein fiktives Beutemachen. Und damit niemand auf falsche Gedanken kommt: Fotografieren ist natürlich kein Jagdersatz. Aber eine schöne Ergänzung!Foto: Fotot: Stefan Meyers