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So ticken Wölfe

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„Menschen in Lebensgefahr?“ In einem Interview zum Thema Koexistenz mit dem Wolf geht es um die Frage, in welchen Situationen Wölfe eine konkrete Lebensbedrohung für Menschen darstellen können und wie wahrscheinlich diese sind.

(Foto: „WOLFCENTER“)

Frank Faß ist fest davon überzeugt, dass ein Zusammenleben mit Wölfen in Deutschland möglich ist, wenngleich es auch Konflikte zu lösen gilt. Dies könne es seiner Meinung nach nur gelingen, wenn von allen Beteiligten ein “Mittelweg” gegangen wird – also abseits extremer Haltungen für oder gegen Wölfe.

Dieses Frühjahr gab es im Landkreis Rotenburg eine Begegnung zwischen drei Wölfen und einer Frau auf dem E-Bike. Sie entkam den Tieren. Welche Verhaltensweisen anzuraten sind und wie Wölfe ticken, erläutert der Inhaber des Wolfcenter Dörverden in Niedersachsen, Frank Fass. Die Fragen stellt Connie Voigt.

Voigt: Wie ordnen Sie die Begegnung kürzlich im Landkreis Rotenburg ein? Wie hat sich die Frau verhalten?

Fass: Nach meiner Kenntnis fuhr sie mit dem E-Bike auf einem Radweg entlang einer Landstraße in zunächst übersichtlicher Umgebung. Dann zweigte sich der Radweg in ein Waldstück ab, wo die Frau auf drei Wölfe traf. Sie hielt an, drehte um und beschleunigte mit dem E-Bike um sich schnell von den Wölfen zu entfernen. Die Wölfe folgten ihr aber rasch was wiederum Angst bei der Frau auslöste. Als sie in die Nähe eines Wohnhauses kam hielt sie an und schrie die Wölfe an. Zeitgleich kam ein Auto hinzu und der Fahrer hupte. Die Wölfe entfernten sich daraufhin.

Hat sie sich falsch verhalten?

Meiner Ansicht nach hat die Flucht auf dem Rad die Wölfe in einen Verfolgungsmodus versetzt, so dass sie ihr bis auf wenige Meter näherkamen. Aber ich kann natürlich die Angst der Frau vollständig verstehen. Der Vorgang sollte im Wolfsmonitoring unbedingt aufgezeichnet werden um das Verhalten dieser drei Wölfe genauer beobachten zu können. Sollte sich mithilfe dieses Monitoring zeigen, dass sich erneut Situationen dieser Art in der Region stellen, dann stellt sich die Frage, ob regional vielleicht etwas passiert ist was die Wölfe zu diesem Verhalten veranlasst. Engmaschiges Wolfsmonitoring durch Meldungen aus der Bevölkerung vor Ort, aber auch aktives Wolfsmonitoring seitens der zuständigen Behörde ist wesentlich, um dann unter Umständen notwendige Maßnahmen ergreifen zu können.

Welche Art Übergriffe von Wölfen auf Menschen gab es in der Region bis heute?

In Deutschland gab es bisher keine konkret bekannt gewordenen Angriffe. Im geografischen Europa hat es von 1950 bis 2020 nachweislich 127 Übergriffe gegeben; von diesen waren 107 Übergriffe durch Tollwut ausgelöst. Die anderen 20 basierten auf durch Menschen angepassten Habitus – sie wurden mutmaßlich zuvor angefüttert so dass eine Nähe zum Menschen mit einem fordernden Suchverhalten nach Nahrung verbunden wurde. Aber es gab auch sehr seltene prädatorische Übergriffe auf Menschen, wo seltenes Beutefangverhalten gegenüber Menschen erkennbar war. In diesem gesamten Zeitraum der insgesamt 127 Übergriffe erlagen neun Menschen ihren Verletzungen, vier davon waren Kinder.

Sind Übergriffe grundsätzlich potenziell lebensbedrohlich, bzw. dienen Menschen dem Wolf als Nahrungsmittel wie beispielsweise Schafe?

Menschen zählen eigentlich nicht zum Beutespektrum des Wolfes. Bei den vereinzelten prädatorischen Fällen in Europa wurde immer nur ein einzelner Wolf beobachtet, kein Rudel. Als bekannte seltene Ausnahme gilt ein Fall in den USA 2010 wo ein tödlicher Angriff eines Rudels auf eine damals 32 Jahre junge Frau in Alaska gemeldet wurde. Als Rudel definieren wir grundsätzlich eine Familie mit Eltern und dem Nachwuchs, der mitläuft.

Wie kann man mit dieser Erkenntnis die drei Wölfe bei Rotenburg einstufen?

Im Moment besteht der Verdacht, dass es drei Jungwölfe auf Erkundungstour waren was aber an der Tatsache der Begegnung nichts ändert. Festgestellt wurde bisher auch, dass es in der Vergangenheit andere Nahbegegnungen in den Monaten Januar bis März in Niedersachsen gab. Anscheinend sind oder waren Jungwölfe bzw. Welpen allein unterwegs.

Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit dass es sich um einen Tollwut-bedingten Übergriff handelte?

Nach meiner Information gingen die bisherigen 107 Tollwutfälle ausschließlich von Einzeltieren aus, also eher unwahrscheinlich. Ferner hat es seit der Ausbreitung der Wölfe in Deutschland keinen tollwutkranken Wolf gegeben.

Was zählt zum provozierten menschlichen Verhalten?

Zu provoziertem Verhalten gehört beispielsweise die Plünderung vom Wolfsbau. Eine Wölfin vergisst nicht wenn Menschen ihre Welpen verschwinden lassen.

Das klingt so als wenn sie sich in so einem Fall für den Verlust rächen würde… haben Wölfe die psychische Fähigkeit Rache zu nehmen?

Ich glaube diese von Emotionen geleitete Fähigkeit ist bei Wölfen nicht zu nachzuweisen. Aber ein Wolf oder ein Hund vergisst kein ihm gegenüber feindseliges Verhalten von Menschen. Sein Instinkt lässt ihn folglich auf Distanz gehen oder er wird zum defensiven Angreifer.

Weshalb weist ein tollwutkranker Wolf aggressives Verhalten auf?

Zunächst möchte ich skizzieren wie diese Krankheit über Bisse übertragen wird. Eine Bisswunde an sich kann schnell heilen. Aber der Tollwutvirus sitzt im Speichel des beißenden angreifenden Wolfes und dringt in die Wunde des gebissenen Wolfes ein. Der Tollwutvirus findet dann im Körper innerhalb von wenigen Wochen seinen Weg zum Gehirn des Opfers; das ist die Zeitspanne von der Infektion bis zum Tod. Die Zerstörung des Gehirns verursacht den Tod. Es gibt ein kurzes Zeitfenster von zwei bis drei Tagen im kranken Leben dieses infizierten Tieres das wir die „rasende Wut“ nennen. In der Zeit läuft das Tier völlig desorientiert und aggressiv umher, und beißt in alles hinein was er findet, das können herunter gefallende Äste sein, wie auch jegliche Lebewesen. Der Grund dafür ist dass sich der Virus durch dieses wilde Bissverhalten neue Träger sucht.

Könnte man zum Schutz der Wölfe und letztlich der Menschen den Tieren Impfstoffe verabreichen?

Unter Füchsen verzeichneten wir in der Vergangenheit mehr als 10’000 Tollwutinfektionen pro Jahr in Deutschland. Daraufhin hatte man eine intensive Bejagung vollzogen, was aber die Krankheit nicht ausrottete. Wissenschaftler haben später den Tübinger Tollwutimpfköder in der Größe einer Streichholzschachtel entwickelt. Er wurde teils aus Flugzeugen großflächig verteilt, aber im Wesentlichen von Jägern in die Jagdreviere ausgebracht, mit dem Resultat, dass seit 2006 kein Fuchs mit Tollwut festgestellt wurde. Diese Methode könnte im Grunde auch für Wölfe adaptiert anwenden. Wir haben einen speziellen Geschmacksköder mit unseren Wölfen hier im Wolfcenter bereits mit Erfolg getestet.

Welche Verhaltensweisen bei der Begegnung mit einem Wolf sind anzuraten bei Menschen die leicht Panik bekommen?

Ideal wäre es stehen zu bleiben, nicht weg zu laufen oder zu fahren, ruhig zu bleiben, auch nicht sich abzuwenden oder sich klein zu machen, nicht anstarren, aber den Wolf im Blick behalten. Dann verlieren Wölfe ihr Interesse, vorausgesetzt es handelt sich um ein gesundes und auch nicht an den Menschen gewohntes Tier. Aber die menschlichen Reflexe sind individuell unterschiedlich und nicht leicht bewusst situativ steuerbar. Wenn es den Anschein hat, dass ein Wolf den Menschen nicht bemerkt, dann sollte man kurz auf sich aufmerksam machen um ihn zu warnen damit er fern bleibt.

Wie real gefährdet sind im Wald spielende Kinder die ihr Verhalten weniger bewusst kontrollieren können?

Kinder sind nicht mehr oder weniger gefährdet als Erwachsene. Wenn aber von einer brisanten Nahbegegnung zwischen Wolf und Mensch berichtet wird, ergibt sich die Frage, ob es im Wolfsmonitoring in den Aufzeichnungen von Berichten bereits zuvor Auffälligkeiten ähnlicher Art und in derselben Region gab. Dazu ein Beispiel: In der Region Munster hat sich im Jahr 2015 ein Wolf immer wieder verschiedenen Menschen in der Landschaft gezeigt. Glücklicherweise meldeten diese Leute im Rahmen des Wolfsmonitoring ihre Begegnungen. Somit konnten die Behörden auf dieser Grundlage engmaschige Befragungen vor Ort durchführen mit der Erkenntnis dass es sich um den gleichen Wolf handelte der nachweislich angefüttert wurde. Menschen hatten also das Verhalten eines Wolfes unbewusst durch Anfütterung modifiziert.

Welche Maßnahmen wurden nach der Erkenntnis der Anfütterung ergriffen?

Erst besenderte man diesen Wolf und konnte somit seine Gewohnheiten beobachten. Dann versuchte man mit Vergrämung das Tier umzuerziehen, was aber keine langfristige Wirkung zur Folge hatte. Er näherte sich Menschen weiterhin ungewöhnlich nah, wie es erneut berichtet wurde und entschied sich letztlich für die Tötung des Wolfes. Wir hatten für diese Maßnahmen kein ausgebildetes Fachpersonal, dafür musste extra ein schwedischer Fachmann anreisen. Deshalb fordere ich ein Wolfsentnahme-Fachteam, das besendern, vergrämen, einfangen und bei Bedarf gezielt entnehmen kann.

Gibt es Anzeichen für eine zeitnahe Einführung eines Wolfsentnahme-Fachteams?

Man bevorzugt in der Politik die heimischen Jäger, die aber nicht dafür ausgebildet sind. Wenn wir bislang bei uns oder in den Nachbarländern keine bedrohlichen Übergriffe hatten heißt das nicht dass wir uns nicht auf eventuelle Übergriffe vorbereiten sollten.

Wie entstand der Mythos „böser Wolf“?

Eine römische Wölfin soll der Legende nach die ausgesetzten Knaben und späteren Gründer Roms Romulus und Remus gesäugt haben. Gemäß der nordischen Mythologie hatte der höchste germanische Gott Odin zwei Wölfe mit Namen Geri und Freki, heißt der Gierige und der Gefräßige. Diese beiden Legenden sind dem Wolf gegenüber positiv behaftet. Demgegenüber glaubten Leute lange Zeit dass sich Menschen in bösartige Werwölfe verwandeln können. Auch Märchen wie „Rotkäppchen und der Böse Wolf“ trugen zum schlechten Ruf bei wobei es hier ursprünglich darum geht junge Frauen vor bösen Männern zu warnen. Unsere Regionen waren früher von wilden Waldlandschaften geprägt bis der Mensch sesshaft wurde und Ackerbau betrieb mit steter Umnutzung der Wildnis in eine Kulturlandschaft. Zu Beginn dieser jahrhundertelangen Entwicklung hatten Bauern nur wenige Nutztiere für ihr Überleben, ohne Herdenschutz. Nach und nach verpflichtete der Adel die Bauern an der systematischen Ausrottung der Wölfe mitzuwirken. Die Tötung wurde somit zur Norm. Heute haben wir die besagten EU-Gesetze zum Schutz der Wölfe wie im ersten Interview beschrieben und in der Zukunft hoffentlich Wolfsentnahme-Fachteams.

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