2,5 Jahre für Todesschützen: Es klingt unglaublich: Bei einer Drückjagd in Rheinland-Pfalz schießt ein Jäger in Richtung Dorf. Er trifft eine Rentnerin. Doch statt sich um die Frau zu kümmern, fängt er erstmal einen Frischling ab. Jetzt wurde er verurteilt.
Kurzprotokoll: Ein erfahrener Jäger verlässt den angewiesenen Drückjagdstand, schießt in die falsche Richtung und trifft eine Frau tödlich. Statt Erste Hilfe zu leisten, fängt er erst einmal einen angeflickten Frischling ab. Im Prozess verwickelt er sich zudem in Widersprüche. Ein Mitjäger hat eventuell den Tatort verändert, eine Patronenhülse fehlt spurlos. Einen Freispruch fordert gleich zu Prozessbeginn der Anwalt des Jägers. Doch der Richter schließt sich dem Antrag des Staatsanwalts an: Harald S. muss für 2,5 Jahre ins Gefängnis.
(Symbolbild: Karl-Heinz Volkmar)
Alles falsch gemacht
Es war der 18. November vorigen Jahres, als die 86-jährige Lisette W. in Dalberg (Rheinland-Pfalz) auf der Terrasse ihres Hauses
durch den Schuss des Jägers Harald S. (heute 61) starb. Der Bingener galt als jagdlich erfahren, ist seit seinem 16. Lebensjahr der Jagd verbunden und bei Sauendrückjagden Dauergast. Seit August stand er wegen fahrlässiger Tötung vor dem Amtsgericht Bad Kreuznach, das auch nach fünf Verhandlungstagen die Ungereimtheiten des schrecklichen Vorfalls nicht völlig klären konnte. Während die Staatsanwaltschaft eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung forderte, plädierte der Verteidiger auf Freispruch. Es handele sich um einen bedauernswerten Unfall, so der Verteidiger. Der Prozess offenbarte Unglaubliches. So hatte der Jagdleiter den Todesschützen, der seinen Stand schon von früher kannte, verdonnert, nur nach oben in den Hang zu schießen, denn unterhalb
lägen die Häuser des Dorfes. Doch Jäger S. soll seinen Platz verlassen und trotzdem hangabwärts durch blickdichtes Gebüsch in Richtung Wohnhaus von Lisette W. geschossen und ein Stück Schwarzwild angeschweißt haben. Erst viel später – die Kripo Mainz hatte ihn bereits vernommen – erklärte er dem Jagdleiter, bei der Schussabgabe ausgerutscht zu sein. Weil er noch den Finger am Abzug gehabt habe, soll sich ein zweiter Schuss gelöst haben, der wohl Richtung Haus ging. Dem widersprechen Ballistiker, die belegen können, dass beide Schüsse Richtung Haus gingen.
Spuren verwischt?
Der Beschuldigte gab weiter an: Er hörte vom Haus ein Röcheln und fand die getroffene Frau auf der Terrasse liegend vor. Aber: Statt Erste Hilfe zu leisten, eilte er an der Sterbenden vorbei, um einen angeflickten Schwarzkittel abzufangen. Erst danach informierte er den Jagdleiter und rief den Notarzt. Die Ungereimtheiten gingen weiter: Zeugen berichten, dass ein anderer Jäger im Wald die Spuren des Standortes des Todesschützen, der über alle Verhandlungstage bei der Behauptung blieb, ausgerutscht zu sein, verwischt habe. Nicht genug: Am Tatort fehlte eine Patronenhülse. Erst am sechsten Verhandlungstag gab es Plädoyers und ein Urteil. Der Richter nannte die Angaben des Jägers insgesamt „schwammig“ und „abenteuerlich“. Der 61-jährige Jäger hatte sich bis zum Prozessende nicht bei den Angehörigen der Getöteten entschuldigt. Er verzichtete auch auf ein Schlusswort. Sein Verteidiger will in Berufung gehen.
eb