Die Kitze kommen… und die Jagd auf Schmalrehe und Böcke beginnt. Zu dieser Zeit sind nicht nur die Jäger, sondern auch die Rehe sehr aktiv. Wie steht es um die Bindung zwischen Ricke und Kitz? Und: Verfärben junge Stücke wirklich immer zuerst? Von Bruno Hespeler
Seltenes Bilddokument: Eine Ricke zusammen mit ihren drei Kitzen (Foto: Shutterstock)
In den klimatisch günstigen Lagen wurden die ersten Kitze schon Ende April geboren. In den alpinen Hochlagenwird es hingegen Anfang Juni. Daneben gibt es „Ausreißer“ von März bis in den August hinein. Aber als „Kernsetzzeit“ dürfen wir getrost die zweite und dritte Maiwoche bezeichnen. Wenige Tage vor dem Setzen bringt die Geiß ihre vorjährigen Kitze auf Distanz.
Das dient ihrer Sicherheit vor Feinden. Auch das Gesäuge wird schon vor dem Setzen sichtbar. Wo eine Geißsetzt, hängt von der Revierstruktur ab, aber auch von der Geißendichte. Je höher diese ist, umso häufiger werden ungünstige Wiesen als Setzplätze gewählt. Natürlich mischt – wie fast überall in der Jagd – die Landwirtschaft kräftig mit. In Revieren in denen Grünsilo geschnitten wird, verlieren die Wiesen ihren Wert als Setz- und Ablegeplätze, weil Silo früher gemäht wird als Heu. In Wiesen unter 40 Zentimeter Aufwuchshöhe liegen Kitze ungern ab.
Das Gras soll sich über dem abgelegten Kitz schließen. Dabei entsteht Tarnung nach oben, und es bildet sich ein vorteilhaftes Kleinklima. Im Übrigen ist es nicht so, dass die Geiß ihrem Kitz den Platz zum Ablegen „anweist“. Das Kitz sucht ihn sich selbst. Kitze machen auf einen Warnlaut der Geiß hin „down“ oder wenn es ihnen nicht gelingt der Mutter zu folgen. Grundsätzlich versuchen sie ihren Müttern schon sehr früh zu folgen. Sie geben diese Versuche aber rasch auf, wenn die Mütter keine Rücksicht auf sie nehmen und einfach abspringen.
Selbstverständlich bestimmt die Geiß den „Großraum“, schließlich wählt ausschließlich sie den Setzort und entscheidet, wohin sie das Kitz, sobald es ziehen kann, führt. Eine tatsächlich „persönliche“ Bindung zwischen Geiß und Kitz gibt es am Anfang nicht. Eine solche entwickelt sich erst in der dritten Lebenswoche. Vorher weiß die Geiß lediglich, wo ihr Kitz liegt, und sie reagiert auf dessen Fiepton – insbesondere bei Gefahr. Liegen gleichaltrige Kitze verschiedener Mütter dicht beisammen, kann es durchaus vorkommen, dass eine Geiß zum „falschen“ Kitz springt und dieses saugen lässt.
Ricke oder Schmalreh? Nur der Blick von hinten zwischen die Läufe bringt Gewissheit. Aber Vorsicht ist trotzdem geboten, schließlich kann die Spinne auch frisch geleert worden sein (Foto: Dr. Karl-Heinz Betz)
Für den Jäger ist das insofern interessant, als die Angst, ein vom Menschen berührtes Kitz würde von der Mutter nicht mehr angenommen, unbegründet ist. Trotzdem sollten wir an diesen Glauben nicht rühren! Wie wenig sich Geißen von menschlichen Störungen beeindrucken lassen, wird durch die Hartnäckigkeit deutlich, mit der sie an ihren ins Auge gefassten Setzplätzen festhalten. So wirken von uns aufgestellte Scheuchen selten länger als 24 Stunden, oft nicht einmal das.
Auch das Abstreifen der Wiesen am Abend vor der Mahd, mit oder ohne Hund, beeindruckt sie kaum. Kitze, die dabei nicht gefunden werden, sind häufig verloren. Was immer der Jäger zur Rettung abgelegter Kitze unternimmt, die Gefahr der Gewöhnung und des Ignorierens ist groß. In vielen Revieren sind die Mähverluste der Kitze alljährlich hoch. Zumindest teilweise hängt das mit der Geißendichte zusammen. Je weniger Geißen auf einem bestimmten Raum leben, umso wählerischer können diese bezüglich der Setz- und Ablegeplätze sein. Die Kitzverluste in den ersten zwei, drei Lebenswochen sind immer hoch, unterliegen aber auch starken Schwankungen. Häufigste Todesursache ist wohl anhaltend nasskaltes Wetter. Der Energieverbrauch der Kitze ist dann besonders hoch. Das Aufrechterhalten der Körpertemperatur kostet Kalorien, die eigentlich für das Körperwachstum notwendig wären.
Der Jäger erhält wertvolle Informationen über seinen Rehwildbestand, wenn er sich jetzt alle beobachteten Kitze und Geißen in einer Revierkarten-Kopie einträgt. Jetzt wollen wir aber im Mai die Böcke nicht vergessen. In diesem Monat wollen und sollen wir „Strecke machen“. Wer frühzeitig erntet reduziert das Straßenfallwild, weil er Wohnräume freimacht und damit Ruhe in den Bestand bringt. Wir können aber auch nicht erwarten, dass die im Mai erlegten Böcke springen, nur weil wir einen Blattjagdkurs besucht haben.
Bei den Jährlingen dürfen wir nicht kleinlich sein. Kalchreuter riet schon vor mehr als einem viertel Jahrhundert, alle Jährlinge zu schießen, die wir sehen, weil dann immer noch genug da seien. So krass will ich’s gar nicht ausdrücken. Aber es genügt vollauf, wenn wir ein paar herausragend gute schonen. Fast überall wird gejammert, es seien keine wirklich alten Böcke mehr da.
Drei Dinge gilt es dabei zu bedenken:
- Es ist ein Irrtum zu glauben, Böcke würden mit zunehmendem Alter immer schwerer. Die meisten von Europas wirklich kapitalen Böcken waren relativjung.
- Alte Böcke vererben nicht besser und nicht schlechter als junge Böcke.
- Wer – aus welchen Gründen auch immer – alte Böcke ernten will, der darf nicht an Geweih- und Körpermerkmalen herum-deuteln. Er muss sich vielmehr darüber klar sein, dass Böcke feste Wohnbezirke haben. Ihr Aussehen ändern viele von Jahr zu Jahr, ihre Wohnungen nicht. Wer im gleichen Wohnbezirk jedes Jahr einen erwachsenen Bock erlegt, wird zwangsweise junge Böcke ernten, denn nur junge rücken nach! Wer jetzt den Wald gefährdet sieht, sollte sich daran erinnern, dass die Wilddichte nicht über Böcke, sondern über weibliche Rehe reguliert wird!