Laut der DJV-Wildunfallstatistik kamen in Deutschland im Zeitraum 2015/2016 knapp 190.000 Rehe unter die Räder. Gemeldet wurden exakt 194.410 Stück Fallwild, die in erster Linie durch den Straßenverkehr zu Tode gekommen sind.
Was in dem Kopf einer passionierten Jägerin bei einem Wildunfall vorgeht, schildert Natalie Bernhard in diesem großartig geschriebenen, gefühlvollen Gastbeitrag. Vielen Dank für die Zusendung.
Eigentlich sollte es ein ganz normales Wochenende werden. Mit Freunden grillen und jagen … Eigentlich …
Nach einem gemütlichen Grillabend bei mir, machten sich mein Mitjäger und ich auf den Weg zum Ansitz auf Sauen. Der Mond war noch recht gut, wir hofften auf Beute. Um 23:15Uhr pirschte ich durch das Waldstück zu meiner Kirrung, die etwa 100 Meter neben der Kreisstraße liegt.
(Fotos: Privat)
Schon oft dachte ich hier beim Ansitz, wie fahrlässig manche Leute hier durchfahren und immer weiter beschleunigen. Dass hier mal eben eine 100-Kilo-Sau die Straße kreuzen und ihr Leben dann mitunter auch zu Ende sein könnte.
Ich bezog die Kanzel, stellte mein Gewehr auf die Seite und hörte nur noch das Bremsen eines Autos, einen lauten dumpfen Aufprall und wie etwas kurz flog und dann über die Straße schlitterte. „Nein!“ entfährt es mir „Bitte nicht! Bitte keine Geiß!“ Ich war für den Bruchteil einer Sekunde fassungslos. Dann funktionierte ich nur noch. Ich packte zusammen. Griff mein Gewehr. Entlud, sprang die Leiter runter und rannte zum Auto.
Mein Kopf schrie immer noch „keine Geiß, bitte keine Geiß!!!“ Ich fuhr zügig aber dennoch aufmerksam den Waldweg zur Kreisstraße und erreichte das blinkende Auto. Kurzer Blick zum Fahrer der hinter diesem stand, er sah gefasst aus. Ich leuchtete zur anderen Straßenseite und sah nur ein lebloses Reh. Ich rannte in die Richtung, erkannte schon nach wenigen Metern das Gesäuge, rannte zurück, schnappte mein Messer und flog fast zur Geiß. Ich schaute nicht, ich machte nur noch einen Flankenschnitt und fühlte ins Innere (unsere Geißen waren dieses Jahr sehr spät dran mit setzen). Nichts. Erst da nahm ich wahr, dass sie auch nicht mehr so dick war, wie eine tragende Geiß. Ich drehte mich zum Fahrer um. „Woher kam sie?“ Er beschrieb mir kurz was, wie, wo. Nebenbei legte ich das verendete Stück hinter mein Auto. Schon da spürte ich, dass sie mitunter mehrere Trümmerbrüche hatte und wohl sofort tot war.
Wenigstens kein Klagen, kein Leiden. Nachdem ich mir das Unfallauto angeschaut hatte, war klar dass dieses nirgendwo mehr hinfahren würde. Die Front samt Kühler waren Schrott. Die Polizei hatte der Fahrer verständigt, jedoch konnte ich ihnen den Einsatz abnehmen, worüber sie nach kurzem Telefongespräch auch froh waren.
Wieder zurück am Unfallort, füllte ich mit dem Fahrer die Unfallbescheinigung aus, während ein Freund und Begehungsscheininhaber unseres Reviers schon den seitlichen Streifen mit den ersten Bäumen nach dem Kitz absuchte.
Nachdem der Abschleppdienst endlich da war, beschlossen wir am nächsten Morgen die Suche nach dem Rehnachwuchs fortzusetzen. Nach einigen kurzen Stunden Schlaf ging es weiter. Ich beratschlagte mich kurz mit einer Freundin telefonisch. Wir beschlossen in Facebook um Hilfe zu bitten. Ganz spontan kamen 9 Helfer zusammen.
Sogar ein Mann den wir auf einem Waldparkplatz ansprachen, lief einen Abschnitt mit seinem Hund mit durchs Waldstück in dem wir das Kitz vermuteten. Immer schön in einer Kette mit kurzem Abstand zum Nachbarn, mitunter nun mit 2 Hunden, durchkämmten wir Quadratmeter für Quadratmeter. Wir fanden erschreckend große Saugänge in Brombeerdickungen, Kessel, Fährten, einen Fuchsbau, aber kein Kitz.
Ich fiepte ab und an, alle hielten inne, aber auch das brachte uns keinen Erfolg. Nachdem wir mein Waldstück und auch gut 100 Meter das gegenüberliegende vom Reviernachbar abgesucht hatten, beschlossen wir hier erst mal Schluss zu machen. Die Enttäuschung stand jedem ins Gesicht geschrieben. Wir verabschiedeten uns mit viel Dank bei den großen und kleinen Helfern und stärkten uns erst mal im Revierbiergarten. Danach verarbeiteten wir die Geiß, somit hatte sie wenigstens noch Nutzen für unsere Hunde.
Ich konnte nicht umhin, einen kleinen Fichtenbruch zu den Überresten zu legen. Die Tränen rannen über meine Wangen. Einmal des schrecklichen Unfalls wegen, andererseits dessen, dass wir bezüglich des Kitzes nicht fündig geworden waren. Ja, auch einem Jäger geht so etwas nah und nach. Ich fuhr wieder in den Revierteil, wo sich der Unfall ereignete. Wieder lief ich fiepend und suchend durchs Waldstück. Auch mein Hund nahm keine Fährte auf, noch zeigte sie mir Wild an. Kitze riechen in den ersten Wochen noch nicht. Dies dient deren Schutz vor hungrigen Feinden.
Schwierig also. Nichts, nichts, nichts. Ich redete mir ein, mich damit abzufinden, dass das Kitz weder hier, noch zu retten war. Nur noch eine Wärmebildkamera wäre eventuell eine Möglichkeit. Und diese auch nur später. Es war schließlich noch sehr warm. Zu Hause musste ich erst mal eine Pause einlegen. Ich konnte einfach nicht mehr.
Eine Freundin, die schon morgens mit gesucht hatte, schrieb mir, dass sie sowieso noch mit ihrer Hündin Gassi gehen müsse und sie dies bei mir im Revier machen würde, um eventuelle Rufe des Kitzes zu hören. Eine weitere Freundin schlug entschlossen vor, einen spontanen Aufruf wegen einer Wärmebildkamera in sämtlichen Jagdgruppen und auf unseren Profilen zu starten.
Erst ging’s hin und her, Leute hatten zwar Wärmebildtechnik, aber waren einfach zu weit weg oder hatten dasselbe Problem und waren im Einsatz. Um kurz nach 22 Uhr trafen dann doch wirklich zwei Jäger mit Wärmebildkamera und Nachtsichtgerät bei uns ein. Die Jungs gaben wirklich alles. Jeder Teil wurde nochmal akribisch abgesucht. Leider ergab auch diese Suche nichts. Wir mussten uns jetzt, nach bald 24 Stunden, damit abfinden, dass wohl Mutter Natur, sprich Sau oder Fuchs schneller gewesen waren. Das Gefühl war nicht toll. Aber wir hatten alles gegeben, was möglich war.
Ich möchte mich hier noch einmal herzliche bei allen Helfern bedanken.
nb