ANZEIGE

Reviergang im Mai: Der Fuchswiesen-Bock

3478


Langjährige DJZ-Leser wissen, dass wir im DJZ-Versuchsrevier mit gutem Erfolg Intervalljagd betreiben. So gelingt es uns, das sensible Rotwild möglichst wenig zu stören und tagaktiv zu halten.

Von Andreas Rockstroh

A

Bild

Der erste Bejagungsschwerpunkt beginnt sofort mit Aufgang der Bock- und Schmalrehjagd und dauert vom 1. Mai bis 15. Juni. Wir Redakteure jagen dabei in vier Pirschbezirken mit je knapp 100 Hektar. In jeden Pirschbezirk wird noch ein nicht zur Redaktion gehörender Jäger des Verlages mit aufgenommen. Jeder hat einen Bock und Schmalrehe frei. Spät im Vorjahr gefrischte Frischlinge, die jetzt zwischen 20 und 25 Kilogramm wiegen und selbst nicht schon wieder Frischlinge führen, sind ebenfalls frei. Sie bringen nur die Bestandsstruktur durcheinander.

Die Pirschbezirke wechseln jährlich, sodass im Laufe der Zeit jeder Redakteur das Revier genau kennen lernt. Im vergangenen Jahr (Mai 2001) jagte ich im Pirschbezirk II, in dessen Zentrum eine große Dauergrün-Äsungsfläche liegt, die Fuchswiese. Unterhalb dieser Wiese ist ein verwachsener, ehemaliger Windwurf, der Ginsterschlag, in dem wir seit drei Jahren einen für unsere Hunsrücker Verhältnisse sehr starken Bock kannten, der aber ausgesprochen heimlich war. Wir haben ihn den Fuchswiesen-Bock getauft.

Nur viermal kam er in den drei Jahren in Anblick, und schon meine Vorgänger hatten sich daran „die Zähne ausgebissen“. Selbst Achim, unser Revierleiter, hatte den Bock in den vergangenen Jahren nur zweimal gesehen, klassifizierte ihn aber nahe an 400 Gramm Gehörngewicht.

Endlich ist er da, der langersehnte 1. Mai, und um mir einen Überblick zu verschaffen, will ich mich bei gutem Wind morgens an die Fuchswiese setzen. Bei der Rehwildjagd habe ich mir angewöhnt, erst bei Büchsenlicht den morgendlichen Ansitzplatz zu beziehen. Das Rehwild bummelt lange im Wald herum, und wer im Dunkeln schon zum Hochsitz tappt, vertritt meist mehr als er erreicht.

Es gelingt mir auch tatsächlich, ohne dass Wild abspringt oder schreckt, auf den Hochsitz zu kommen, und schon nach einer halben Stunde bummelt der typische zweijährige Sechser auf Schrotschussentfernung unter dem Hochsitz durch. Ein schöner Anblick, der den Puls allerdings nicht erhöht. Und dann, die Sonne ist mittlerweile aufgegangen, ziehen drei hochbeschlagene Alttiere auf die Äsungsfläche. Sie äsen vertraut, ja gierig, sodass ich in der nächsten Zeit die Fuchswiese meiden werde, um das Rotwild nicht zu stören.

Natürlich geht mir der Bock vom Ginsterschlag nicht aus dem Kopf, aber das westlich an den verwachsenen Schlag angrenzende Altholz bietet vom Boden aus kaum Einblick, sodass eigentlich hier nur ein Hochsitz in diesem Altholz für die Jagd zur Verfügung steht. Als ich abends in der Nähe den Wind prüfe, stellt sich heraus, dass leider Westwind herrscht, der direkt in den Ginsterschlag hinein steht. Hier ist heute Abend nichts zu machen.

Ich will es also 700 Meter entfernt in einem Fichtenaltholz versuchen, das mit großen, dichten Verjüngungshorsten bestockt ist. Dort hat seit Jahren keiner gejagt. Der Platz müsste also eigentlich für eine Überraschung gut sein.

Kaum sitze ich dort, als der Wind überraschend um 180 Grad auf Ost dreht. Nun sitze ich hier völlig falsch, der Hochsitz am Ginsterschlag wäre jetzt optimal. Obwohl es eigentlich für einen Platzwechsel zu spät ist, mittlerweile ist es 19 Uhr, entschließe ich mich zum Wechsel.

Schritt für Schritt pirsche ich, von Süden kommend, langsam durch das Altholz, und es gelingt, ohne dass Wild abspringt, auf den Hochsitz zu kommen. Unterdessen ist es halb acht. Das Jagen ist hier auch vom Hochsitz aus schwierig. In etwa 200 Meter Entfernung beginnt der völlig verwachsene Ginsterschlag. Aber auch das Altholz hat viel Unterwuchs und große, zum Teil schon recht hohe Fichtenverjüngungshorste, sodass selbst von hoher Warte aus nur kleine Lücken einzusehen sind. Ein alter, raffinierter Bock hätte hier jede Menge Möglichkeiten, sich zu verdrücken, falls er überhaupt herauszieht.

Nach einer Viertelstunde erscheint eine hochbeschlagene Ricke, die gierig äst. Das Stück vertreibt mir die Zeit. Doch bald darauf bemerke ich im linken Augenwinkel oben am Hang eine Bewegung. Zieht doch da tatsächlich der starke Bock aus dem Ginsterschlag heraus! Viel Zeit bleibt nicht, denn wenn er über den kleinen Buckel, auf dem er jetzt kurz verhofft, hinweggezogen ist, dürfte es ihm gelingen, sich in der dahinterliegenden Mulde zu verkrümeln.

Im Hochfahren gleitet die Sicherung nach vorn, noch verhofft der Bock. Der Zielstachel saugt sich knapp hinter dem Blatt fest und im Knall sehe ich ihn zusammenbrechen. Nach dem Repetieren bleibe ich noch einige Zeit im Anschlag, aber es rührt sich nichts mehr. Tief durchatmend sichere ich die Waffe und stelle sie in die Ecke.

Ich kann es nicht recht fassen, denn nach drei Jahren Jagd auf diesen Bock gelingt es jetzt, leicht und am ersten Jagdtag. Es melden sich, wie immer in solchen Situationen, natürlich auch Zweifel: „Hast du nicht vielleicht doch den Sohn oder gar Enkel des erhofften Bockes erlegt?“

Schließlich hält es mich nicht mehr auf dem Hochsitz, und als ich vor dem Erlegten stehe, sind die letzten Zweifel ausgeräumt. Starker, ungerader Sechser mit herrlichen Rosen, bis in die Spitzen hinein geperlte Stangen. Echte Freude steigt in mir auf. Dankbar setze ich mich neben den Bock und lasse mir Zeit mit dem Aufbrechen.

Als die Dämmerung im Altholz aufsteigt, trage ich den Bock zum Auto. Die Stelle ist einfach zu verschwiegen, als dass man, wie sonst so oft, mit dem Auto bis zum erlegten Wild fährt. Als ich bei Achim den Kofferraum öffne, hebt er das Haupt auf und ruft begeistert: „Der Fuchswiesen-Bock …“

F

ANZEIGE
Aboangebot