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Sieg der Vernunft

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Betrachtet man die Diskussion hierzulande, scheint die Wald-Wild-Problematik nicht lösbar. Das in der Praxis bewährte DJZ-Modell hat aber die Eidgenossen in der Schweiz überzeugt.

Von Von Heinz Nigg

Freihalteflächen
Freihalteflächen sollten von einem Hochsitz ausgehen eine Länge von 100 – 150 m haben; an der breitesten Stelle mindestens 40 m. Das schafft Äsungsverbesserung und Tagesaustritte für Schalenwild in Aufforstungen undNaturverjüngungen.

Große Stürme schaffen Raum – Lebensraum. Die Wiederherstellung von Sturmschadenflächen im Wald bietet eine Chance zur Verbesserung der Lebensbedingungen für eine Vielzahl von Wald bewohnenden Wildtieren. Eine Chance, die – wenn sie genutzt wird – auch den Konflikt Schalenwild / Waldverjüngung bedeutend mindern kann. Dabei werden die Weichen für zukünftige Lebensgemeinschaften gestellt.

Die Zeitspanne dazu ist aber kurz, und rasches, konsequentes Handeln ist notwendig. Die Dynamik der Bestandsentwicklung des Schalenwilds und der Waldverjüngung in diesen Flächen ist eindrucksvoll. Wenn die Gelegenheit verpasst wird, kann sich die Situation ins Gegenteil wenden. Dann sind langwierige Wildschaden-Probleme programmiert.

Erlass der Schweizer Forsdirektion

Erfahrungen aus vergangenen Sturmschaden-Ereignissen Das führte dazu, dass die Schweizerische Forstdirektion in ihrem Erlass zur Bewältigung der Schäden des Orkans Lothar explizit Maßnahmen für die Lebensraum-Gestaltung vorschreibt. Im Kreisschreiben 23 wird verlangt, dass die Wiederherstellungsprojekte für Sturmschäden im Wald ein Wildschadenverhütungs-Konzept enthalten müssen.

Freihalteflächen: Dabei müssen in zusammenhängenden Schadenflächen, die größer als zwei Hektar sind, jeweils fünf bis zehn Prozent der Fläche ausgeschieden und für das Schalenwild dauernd offen, das heißt ohne Wiederbestockung durch Waldbäume, gehalten werden. Diese Freihalteflächen sollen einerseits dem Wild innerhalb der künftigen, geschlossenen Dickungen langfristig gedeckte Äsungsflächen und Tagesaustritte schaffen. Andererseits ermöglichen sie eine effiziente, störungsarme Bejagung, auch in der Zukunft. Die Forderung ist zwingend! Wenn sie nicht erfüllt wird, können für das gesamte Wiederherstellungsprojekt keine Bundessubventionen vergeben werden.

Diese Bestimmung ist einmalig! Sie geht davon aus, dass der Wald nicht nur Stätte der Holzproduktion ist, sondern auch wichtige Funktionen für die Lebensgemeinschaft von Pflanzen und Tieren hat. Sie nimmt den Waldbesitzer in die Pflicht, seine Verantwortung für den Wald als Lebensraum für Wildtiere wahrzunehmen. Der Weg zu dieser Erkenntnis war lang

Die Vorgeschichte

Sie begann im Jahre 1989. Damals besuchte eine Delegation von Jägern aus dem Bezirk Werdenberg, Kanton St. Gallen (Ost-Schweiz) das DJZ-Revier. Eine daraus erwachsene freundschaftliche Beziehung ermöglichte dann einer Gruppe von Jagdpächtern aus den Gemeinden Buchs und Grabs eine Exkursion zur Weiterbildung nach Damscheid. Von besonderem Interesse waren dabei unter anderem die Themen Reviergestaltung, Wildschadenverhütungsmaßnahmen und Lebensraum-Verbesserung.

Diese Thematik war damals im DJZ-Revier aktuell, denn starke Windwürfe hatten 1984 große Teile des Reviers verwüstet. Die Schweizer Jägern bekamen eindrucksvoll vermittelt wie mit freigehaltenen Flächen im Innern der großen Windwürfe mit Bejagungsschneisen und mit Hochsitzen ein vernetztes System von ruhigen Wildeinständen, Äsungsflächen und effizienten Bejagungsmöglichkeiten geschaffen werden kann. Die Teilnehmer der DJZ-Exkursion ahnten nicht, wie rasch sie in die Lage kommen würden, ihre Erkenntnisse in die Tat umsetzen zu müssen.

Vivian/Wiebke

Die Stürme Vivian und Wiebke, die im Februar 1990 in ganz Europa große Schäden anrichteten, fegten auch über die Schweiz und wüteten im Jagdrevier Grabs-West: 100 Hektar Waldfläche wurde total zerstört, und auf weiteren 50 Hektar wurde ein großer Teil des Baumbestandes geschädigt. Insgesamt wurden in dem Jagdreviers 60.000 Festmeter Holz geworfen, geknickt und abgebrochen.

Von Anfang an war allen Beteiligten klar, dass die Regulierung des Wildes und die Gestaltung der Lebensräume für die zukünftige Lebensgemeinschaft von Wald und Wild eine zentrale Rolle bei der Bewältigung der Schäden spielen würde. Die seit Jahren gepflegte, gute Zusammenarbeit zwischen der Jagdgesellschaft, dem lokalen Forstdienst und dem Waldbesitzer kam voll zum Tragen.

Die Jagdgesellschaft Grabs-West erarbeitete in engem Kontakt mit diesen Partnern ein jagdliches Konzept, hinter dem alle stehen konnten und das dann Bestandteil des Wiederherstellungsprojektes wurde. Ich war Mitglied des Projekt-Teams und brachte als Teilnehmer der Exkursion ins DJZ-Revier die damaligen Erkenntnisse mit in das Konzept ein. Die drei wesentlichen Punkte:

  • Anpassung der Schalenwildbestände an den bestehenden und den neu entstehenden Lebensraum. Dazu wurden die Abschüsse im Schadengebiet sofort und intensiv erhöht.
  • Anlage von Schneisen und Flächen zur Äsungsverbesserung und zur Bejagung des Wildes in den Aufforstungen und Naturverjüngungen. Von einem Hochsitz ausgehend, sind diese Flächen jeweils 100 bis 150 Meter lang und messen an der breitesten Stelle mindestens 40 Meter.
  • Schaffung von großen Wildruhezonen in den Wiederherstellungsgebieten. Dazu wurden die Forststraßen mit Fahrverboten belegt und mit abschließbaren Schranken abgesperrt, entlang der Straßen zum Sichtschutz Sträucher und Verbissgehölze gepflanzt und die Bevölkerung mittels Tafeln informiert und gelenkt.Die vorgesehenen Maßnahmen waren genau genommen illegal, denn das dauernde Freihalten von Waldfläche wiedersprach Artikel 32 des damals gültigen Bundesgesetzes, die Eidgenössische Oberaufsicht über die Forstpolizei betreffend (vom 11. Oktober 1902). Dort wurde unter anderem verlangt, dass die durch Sturm entstandenen Blößen innerhalb von drei Jahren wieder vollständig bestockt werden müssen.Trotzdem wurde das Konzept von der Eidgenössischen Forstdirektion versuchsweise genehmigt und als Teil des Wiederherstellungs-Projektes sogar mit Bundesgeldern subventioniert. Dieses jagdliche Konzept trägt Früchte und liefert nun seit zehn Jahren gesicherte Erkenntnisse über die erstaunliche Dynamik der Bestandesentwicklung des Schalenwilds und der Waldverjüngung.

    Revision des Forstpolizeigesetzes

    Zur Zeit der Bewältigung der Vivian-Schäden wurde auch das alte Forstpolizeigesetz aus dem Jahre 1902 einer totalen Revision unterzogen. Dabei flossen die aktuell gewonnenen Erkenntnisse der Wiederherstellungs-Projekte in die Rechtsetzung ein. Das Bundesgesetz über den Wald vom 4. Oktober 1991 soll unter anderem den Wald als naturnahe Lebensgemeinschaft schützen.

    In der dazugehörigen Bundesverordnung über den Wald vom 30. November 1992 wird in Artikel 31 verlangt, dass – sofern trotz Regulierung der Wildbestände Wildschäden auftreten – ein Konzept zu deren Verhütung zu erstellen ist. Dieses Konzept hat Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensräume (Biotop-Hege), den Schutz des Wildes vor Störungen, den Abschuss einzelner Schaden stiftender Tiere sowie eine Erfolgskontrolle zu umfassen.

    Die Idee des gemeinsamen, Vorgehens von Forst und Jagd sowie die wesentlichen Grundelemente der Wald-Wild-Konzepte gehen unter anderem zurück auf das jagdliche Konzept von Grabs-West, und somit auch auf das DJZ-Modell.

    Lothar

    Am 26. Dezember 1999 brauste der Jahrhundert-Sturm Lothar über die Schweiz und richtete großen Schaden an. Er hatte auf einer Schadenfläche von rund 46.000 Hektar über zehn Millionen Bäume geworfen oder gebrochen. Das entspricht einer Holzmenge von 12,5 Millionen Festmetern. Die Gesamtsumme des Schadens im Wald wird heute auf rund 750 bis 800 Millionen Franken geschätzt. 60 Prozent der Schäden sind im öffentlichen Wald, 40 Prozent im Privatwald angefallen.

    Zur Bewältigung der enormen Schäden erarbeitete die Eidgenössische Forstdirektion ein umfangreiches Maßnahmenpaket. Der eingangs beschriebene Anhang 5 zum Kreisschreiben 23, der ein Wildschadenverhütungs-Konzept mit Freihalteflächen als obligatorisch für den Erhalt von Subventionen für die Waldwiederherstellung erklärt, ist Teil davon.

    Bei dessen Ausarbeitung wertete die zuständige Sachbearbeiterin des Bereichs Wildtiere der Forstdirektion, Cornelia Gallmann, Dipl. Forsting. ETH, die Erfahrungen der Vivian-Projekte aus und ließ sich ausführlich von externen Experten beraten. Der Kreis hat sich damit geschlossen, und eine gute Idee ist – hoffentlich endgültig – zum Durchbruch gekommen.

    Ausblick

    Zur Zeit erarbeiten die kantonalen Forstdienste die erforderlichen Wiederherstellungs-Projekte, die der Eidgenössischen Forstdirektion zur Genehmigung vorgelegt werden müssen. Noch wurde keines der Projekte eingereicht. Der Prozess erweist sich in der Praxis oftmals als schwierig durchführbar. Besonders im kleinparzellierten Privatwald wird die Notwendigkeit für Lebensraum verbessernde Maßnahmen nicht immer eingesehen.

    Die sehr unterschiedlichen forstlichen und jagdlichen Systeme in den verschiedenen Kantonen führen zu vielfältigen Lösungen. Bezüglich der Freihalteflächen fanden zwischen Vertretern einzelner Kantone und der Forstdirektion diverse Besprechungen und auch Begehungen im Felde statt. Es nahmen daran auch der Eidgenössische Forstinspektor Schärer und Dr. Blankenhorn, Leiter des Bereichs Wildtiere, teil. Das Thema ist also Chefsache. Das unterstreicht den Willen der Bundesverwaltung, diese Maßnahmen auch konsequent durchzusetzen.

    Zur Überprüfung der Wirksamkeit der Maßnahmen wurde eigens ein Forschungsprojekt gestartet. Die „Untersuchungen über die Entwicklung der Verjüngung und das Verhalten von Schalenwild in Lothar-Sturmgebieten (UVSL)“ sollen eine wissenschaftliche Begleitung und Beurteilung der Wirksamkeit von Wildschadenverhütungs-Konzepten in LotharSturmflächen, gemäss Kreisschreiben 23, vornehmen, Erfahrungen aus der Bewältigung der Vivian-Schäden auswerten und Fallbeispiele für die Praxis ausarbeiten.

    In vier verschiedenen Wiederherstellungs-Projekten in den Kantonen Obwalden und Nidwalden (Patentjagd, Gebirge) sowie Thurgau und Zürich (Revierjagd, Mittelland) sind die Untersuchungen bereits im letzten Jahr angelaufen. Erste Zwischenberichte liegen bereits vor, und erste Resultate sind in etwa zwei Jahren zu erwarten.

    Der eingeschlagene Weg ist vielversprechend. Dank der Einsicht und der Beharrlichkeit der Entscheidungsträger in der Eidgenössischen Forstdirektion und in den kantonalen Verwaltungen wird sich die Idee von Visionären mit der Zeit durchsetzen.

    Es besteht die Hoffnung, dass Wildschadenverhütungs-Konzepte mit Freihalteflächen künftig zum Standard einer Zusammenarbeit von Förstern, Waldbesitzern und Jägern in der Schweiz gehören werden, und dass sich so Lösungswege finden lassen, die in Zukunft das Wald-Wild-Problem wirkungsvoll entschärfen können.

 

 

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