Das Leitbild für das Rotwild-Management in Deutschland war auch Thema des Rotwild-Symposiums der Deutschen Wildtier Stiftung am 7. und 8. Mai 2004 in Bonn und wurde dort kontrovers diskutiert. Es herrscht Einigkeit darüber, dass die Lebensbedingungen für das Rotwild verbessert werden müssen, aber über das Wie wird nach wie vor gestritten.
Von Von Ulrich Wotschikowsky und Olaf Simon
Gesellschaftliche Ansprüche
Die Diskussion um das Rotwild muss herausgetragen werden aus der ausschließlich jagdlichen und forstlichen Betrachtung. Die Gesellschaft hat einen berechtigten Anspruch auf Natur- und Wildtiererlebnis. Hierbei spielt das Rotwild eine zentrale Rolle.
Empfehlungen:
21: Eine zukunftsweisende Erhaltung des Rotwildes verlangt die Abkehr von der rein nutzungsorientierten Sichtweise – Jagdnutzung hier, Schadensvermeidung dort. Rotwild ist mehr als Waldschädling oder Jagdbeute. Gefordert ist eine Einstellung, die den Rothirsch als einen wertvollen Bestandteil unserer Natur würdigt – auch ohne Bezug zu wirtschaftlichen Aspekten.
22: Nationale und internationale Gesetze und Empfehlungen sind auch für den Rothirsch vorbehaltlos umzusetzen.
23: Rotwild muss tagaktiv und wenigstens in Maßen vertraut werden. In jedem größeren Rotwildvorkommen sind Gelegenheiten zu schaffen, die den Normalbürgern ein Erleben von Rotwild möglich machen.
Erläuterungen:
21: Der Ruf des Rothirsches als Waldschädling, aber auch als Symbol einer fragwürdig gewordenen Jagd, reicht zurück bis in die Zeit des Barock, als Rotwild in großer Zahl zum Jagdvergnügen des Adels gehalten wurde und Wälder und Felder verwüstete. Im Brauchtum, in Volksmusik und Volkskunst hat sich dagegen lange ein positives Bild des Rothirsches erhalten, häufig jedoch ohne besondere Kenntnis seiner wirklichen Lebensweise, phasenweise überprägt von rassistischem Gedankengut.
In ländlichen Gegenden ist das Hirschgeweih aus dem Dorfbild nicht wegzudenken. Dort werden der Rothirsch und die Hirschjagd als Teil der ländlichen Kultur begriffen. Für große Teile der städtischen Gesellschaft ist der Rothirsch dagegen kein Gegenstand von Interesse oder gar Sympathie. Sie nimmt ihn oft lediglich als Schadfaktor oder als Objekt feudalistischen Jagdgebarens wahr.
Die Sympathie von Teilen der ländlichen und städtischen Bevölkerung kontrastiert mit der Sorge von Waldbesitzern vor Wildschäden. Andererseits gibt es auch Interesse an höheren Rotwildbeständen bzw. an einer weiteren Verbreitung der Art: bei Grundeigentümern, weil sich wildreiche Reviere für mehr Geld verpachten lassen; bei Jägern, weil die Rotwild-Jagd sehr attraktiv ist; bei Wildfreunden, weil sie häufiger Wild beobachten können; bei Fremdenverkehrsbetreibern, weil sie mit der Möglichkeit, Wild zu erleben, werben können. Nicht zuletzt wird die Verdrängung des Rotwildes aus dem größten Teil seines einst bundesweiten Verbreitungsareals von Seiten des Naturschutzes immer weniger hingenommen.
22: Auf den Rothirsch sind zahlreiche nationale und internationale Gesetze und Abkommen anwendbar, die im Zusammenhang mit anderen Arten stets genannt werden, z. B. das Artenschutzabkommen von Rio de Janeiro 1992; die Berner Konvention zum Schutz wandernder Arten, Anhang II, 1984; das Bundesnaturschutzgesetz 2002, § 3 Biotopverbund und § 22 Abs. 1 und 4; die FFH-Richtlinie des Europäischen Rates (92/43 EWG) Art. 6 Abs. 3 sowie das FFH-Schutzgebietsnetz Natura 2000. Die Umsetzung würde dem Rothirsch die Wiederbesiedlung freier Lebensräume und das uneingeschränkte Wandern erlauben. Es hat sich jedoch eingebürgert, diese Art ausschließlich unter jagdrechtlichen Gesichtspunkten zu betrachten und zu behandeln, das heißt ausschließlich unter Nutzungsaspekten.
23: In anderen Ländern genießen Großtiere viel Sympathie, zum Beispiel der Elch in Skandinavien oder Wapiti und Bison in den USA. Im Schweizerischen Nationalpark lockt die Hirschbrunft jedes Jahr Hunderte von Besuchern in den Nationalpark. Die imposante Erscheinung und das reichhaltige Verhaltensrepertoire des Rothirsches sollten eigentlich auch bei uns großes Interesse finden. Aber wegen seiner scheuen, überwiegend nächtlichen Lebensweise ist er in Deutschland kaum erlebbar.
Wenn also der Rothirsch auch von der nicht jagenden Bevölkerung geschätzt werden soll, muss Rotwild gesehen, beobachtet, erlebt werden können. Daraus folgen Anforderungen an die Jäger, durch ihr eigenes jagdliches Verhalten eine vertrautere Lebensweise des Rotwildes zu fördern; an die Waldbesitzer und Forstleute, dem Rotwild mehr Toleranz entgegenzubringen, als das in der Vergangenheit der Fall war; an Erholungssuchende bei der Einsicht, dass das Freizeitverhalten gelenkt werden muss; an ein Management, das die unterschiedlichen Interessen der Gesellschaft berücksichtigt.
Seite 2:Die Verwaltung des RothirschesFoto: Jürgen Schiersmann
Auch die nichtjagende Bevölkerung hat einen Anspruch darauf, tagaktives Rotwild erleben zu können – gerade in der Brunft. |