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Schlechte Äsung für den Hasen?

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Wenn die Ursachen für den eingetretenen Rückgang des Hasen diskutiert werden, dann wird regelmäßig unter anderem darauf verwiesen, dass die Äsung für ihn schlechter geworden ist. Ist das aber wirklich der Fall, und sind die Gewichte der Hasen deshalb heute leichter als früher? – Dr. Heinrich Spittler

Häufig wird in der angenommenen Verschlechterung der Äsungssituation sogar die Hauptursache.für den Rückgang der Hasen gesehen. Und zwar soll sich die Äsung in dreifacher Hinsicht verschlechtert haben: Zum einen, weil dem Hasen heute die Wildkräuter fehlen, zum zweiten, weil die Äsung auf Grund der heutigen engen Fruchtfolge einseitiger geworden ist, und zum dritten soll sie „überdüngt“ sein, insbesondere mit Stickstoff. Die beiden erst genannten Situationen sollen zur Verringerung der Widerstandskraft gegenüber Krankheiten führen, insbesondere bei den Junghasen.

Ein solch abwechslungsreiche Feldflur steht dem Hasen heute nicht mehr oft zur Verfügung. Foto: Helmut Pieper

Ferner sollen dadurch die Vermehrungs- und Zuwachsraten geringer geworden sein. Durch die unstrittig intensivere Düngung der Felder und Wiesen mit Stickstoff soll es zu Verdauungsstörungen und als Folge davon zu Verlusten kommen. Denkbar und in gewisser Weise auch logisch sind diese Möglichkeiten zweifellos. Durch den flächendeckenden Einsatz der Herbizide, also der Mittel, mit denen Ackerunkräuter bekämpft werden, sind die Wildkräuter wie Kamille, Schafgarbe, Löwenzahn und andere in der Feldflur rar geworden. Sie dürften früher in der Äsung des Hasen eine große Rolle gespielt haben. Er nimmt sie nämlich gern auf, wenn sie ihm zur Verfügung stehen. Das war früher rund ums Jahr mehr oderweniger der Fall, denn mit den mechanischen Methoden der Unkrautbekämpfung konnten sie nicht so radikal eliminiert werden, wie es heute mit Hilfe der Herbizide möglich ist. „Dank“ ihres Einsatzes sind die Felder heute „sauber“, das heißt, unkraut- beziehungsweise wildkrautfrei.

…vielmehr muss er nicht selten in ausgeräumten Argarlandschaften um sein Überleben kämpfen. Foto: Helmut Pieper

Die Äsungspalette ist dadurch für den Hasen deutlich enger geworden. Dass allein schon darunter die Kondition der Hasen leidet, ist naheliegend.Allgemein gilt nämlich, dass eine vielfältige Nahrung die Vitalität erhöht, nicht nur beim Menschen, sondern auch bei den Tieren. Im Hinblick auf die Wildkräuter kommt noch hinzu, dass einige von ihnen eine Wirkung haben, die nicht nur Erkrankungen vorbeugt, sondern sogar heilt.

Von daher werden die Wildkräuter bekanntlich auch als „Hasenapotheke“ bezeichnet. Da den Hasen auf Grund des Herbizid einsatzes heute die Möglichkeit weitgehend fehlt, sich aus dieser Apotheke zu bedienen, erscheint es durchaus schlüssig, wenn gesagt wird, dass die Hasen heute nicht mehr so widerstandsfähig gegenüber Krankeiten sind und deshalb vermehrt an ihnen eingehen. Eingeengt worden ist die früher vorhandene Äsungsvielfalt für den Hasen aber nicht nur durch das Herausspritzen der Unkräuter aus den Feldern, sondern auch durch die enger gewordene Fruchtfolge. Heute besteht sie vielfach nur noch aus drei Feldfrüchten. In den Gebieten mit besseren Böden sind das Zuckerrübe, Winterweizen und Wintergerste. In vielen anderen Bereichen wird häufig nur noch Mais angebaut, da dieser mehrere Jahre hintereinander auf ein und derselben Fläche gedeiht. Früher gab es in der Frucht-folge regelmäßig zusätzlich noch Hafer und Roggen sowie Sommergetreide, vor allem aber auch Klee und Luzerne als Feldfutter. Damit war in den Feld gebieten seiner zeit die Äsung für den Hasen auch auf Grund dieser Situation im Sommer wie im Wintereindeutig abwechslungsreicher. Unter dem Aspekt der zu diskutierenden Äsungsverschlechterung für den Hasen ist aber nicht nur die Einengung der Fruchtfolge anzusprechen, sondern auch der eingetretene Trend zu immer größeren Feldschlägen. Dadurch wird die enge Fruchtfolge vielfach erst zu einem Äsungsproblem für den Hasen, denn in einer klein parzelligen Feldflur ist auch bei enger Fruchtfolge für den Hasen immer noch eine gewisse Abwechslung in der Äsung gegeben, nicht mehr dagegen bei einer Großfelderstruktur. Nur bei großen Feldern kommt es nämlich erst dazu, dass dem Hasen auf 50 oder 100 Hektar Fläche im Winter zum Beispiel nur schüttere Weizensaat zur Verfügung steht,

oder dass in den Fällen, in denen der Anbaueiner Hackfrucht ansteht, im Winterhalbjahr auf 50 oder 100 Hektar und damit großflächig für ihn überhaupt keine Äsung vorhanden ist, da solche Flächen in der Regel von Mitte Dezember bis April als Sturzacker beziehungsweise blanker Acker vorliegen. Durch die Einengung der Fruchtfolge sowie die Vergrößerung der Feldschläge ist es also in Verbindung mit dem flächendeckenden Herbizideinsatz unstrittig dazu gekommen, dass denHasen heute im Feld häufig nur noch einige wenige Pflanzen als Äsung zur Verfügung stehen, zum Teil sogar nur eine einzige.

Durch Düngung und Güllebringung ist die Äsung reich an Nitraten. Foto: Sven-Erik Arndt

Auswirkungen?

Wenn man beim Hasen die gleichen negativen Auswirkungen unterstellt, die eine einseitige Ernährung beim Menschen zur Folge hat, dann ist es durchaus nachvollziehbar, wenn gesagt wird, dass die Äsung für den Hasen schlechter geworden und er deswegen nicht mehr so widerstandsfähig gegenüber Krankheiten ist. Die Annahme, dass er sich auch nicht mehr so vermehrt wie früher, beziehungsweise dass deswegen nicht mehr so viele Junghasen groß werden, ist ebenfalls verständlich. Vom gedanklichen Ansatzher zuzustimmen ist ferner der vielfach zu hörenden Behauptung, dass die Äsung für den Hasen neben der Einengung ihrer Vielfalt auch qualitativ schlechter geworden ist, und zwar wegen der „Überdüngung“ der Felder und Wiesen mit Stickstoff. Ein hoher Nitratgehalt in den Pflanzen vermag nämlich durchaus zu anhaltenden und starken Verdauungsstörungen, ja sogar zu akuten Vergiftungen zu führen, insbesondere bei jungen Tieren. Dass die Hasen unter anderem deswegen weniger geworden sind, weil sie „totgedüngt“ werden, ist also ebenfalls nicht grundsätzlich von der Hand zu weisen. Die Frage ist jedoch, ob die skizzierten „angeblichen“ Verschlechterungen der Äsung in der Praxis zum Tragen kommen und sich letztlich so auswirken, wie beschrieben, so dass der eingetretene Rückgang des Hasen beziehungsweise der Hasenstrecken im Wesentlich darauf zurückzuführen ist. Wenn man zur Beantwortung dieser Frage die Erfahrungen der Praxis sowie die Befunde diesbezüglicher orientierender Untersuchungen heranzieht, dann ergibt sich jedoch die Aussage, dass es mit der Äsung für den Hasen offensichtlich noch nicht so schlecht bestellt ist und dass es zwischen ihr und dem Rückgang des Hasen keinen primären kausalen Zusammenhang gibt. Man müsste dann nämlich folgende Situationen in der Praxis vorfinden: Erstens müssten die Hasen heute wegen der Einengung der Vielfalt der Äsung eine schlechtere Kondition sowie ein geringeres Gewicht aufweisen; zweitens müsste gleichsam als Ergebnis des schlechteren Ernährungszustandes eine geringere Vermehrungs- und Zuwachsrate feststellbar sein; drittens müsste man wegen des Fehlens der „Hasenapotheke“ vermehrt kranke Hasen vorfinden und viertens müssten wegen des angeblichen Totdüngens in größerer Zahl eingegangene Hasen gefunden werden, bei denen die Symptome einer Nitritvergiftung nachzuweisen sind. Die zuletzt angeführte Situation ist bisher aber nirgendwo festgestellt oder mitgeteilt worden. Vergiftungen als Todesursache finden sich in den Untersuchungsbefunden von Fallwildhasen so selten, dass davon ausgegangen werden muss, dass die starke Stickstoffdüngung und als Folge davon der hohe Gehalt an Nitrat in der Äsung von den Hasen offensichtlich ohne tödliche Komplikationen vertragen wird. Es gibt ferner in der Praxis auch keine Hinweise darauf, dass die Vitalität der Hasen wegen der fehlenden Wildkräuter spürbar nachgelassen hat. Zumindest ist nicht bekannt, dass in den Revieren deutlich mehr kranke und verendete Hasen angetroffen werden als früher, wenn man von den Regionen absieht, in denen gerade ein Seuchenzug des EBH-Syndroms grassiert. Das müsste aber der Fall sein, wenn es denHasen heute an Widerstandskraft gegenüber Krankheiten in größerem Ausmaß fehlen würde, weil sie sich nicht mehr in ihrer Apotheke bedienen können.

Gesundheit und Gewicht

Von daher ergibt sich die Schlussfolgerung, dass die Äsung, die den Hasen heute in den Revieren zur Verfügung steht, bei aller Einseitigkeit offensichtlich noch so beschaffen und gehaltvoll ist, dass es nicht zu Mangelerscheinungen kommt, die den Gesundheitszustand in negativem Sinn beeinflussen. Es dürfte sonst nämlich keine Reviere mehr geben, insbesondere keine Feldreviere, in denen noch genauso viele Hasen wie früher nicht nur vorkommen, sondern auch gestreckt werden, wie es aber der Fall ist. Diese Befunde weisen darüber hinaus darauf hin, dass zumindest auch die Zuwachsrate nicht geringer geworden ist.

Durch Herbizideinsatz werden die meisten Un- beziehungsweise Wildkräuter auf den Feldern vernichtet. Foto: Michael Breuer

Das wäre aber zu postulieren, wenn die Äsung wirklich deutlich schlechter geworden wäre. Bei mangelhafter Ernährung ist nämlich ganz allgemein die reproduktive Fitness geringer, das heißt, der Zuwachs. Die Tatsache, dass es auch heute noch Reviere mit Strecken in früherer Größenordnung gibt, bedeutet aber, dass die Häsinnen dort mindestens noch so viele vitale Junge setzen und ausreichend mit Milch versorgen können, dass sich ein jagdlich nutzbarer Zuwachs wie früher ergibt. Diese Situation verlangt weiterhin die Möglichkeit, dass sich die Junghasen noch ausreichend gut ernähren können. Es ist aber nicht nur die Zuwachsrate in bestimmten Revieren trotz intensiver Landwirtschaft noch so hoch wie früher, sondern generell auch die Vermehrungsrate, also die Anzahl der insgesamt gesetzten Junghasen.Das haben eindeutig die Untersuchungen ergeben, die vom Dezernat Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildschadenverhütung der LÖBF in Nordrhein-Westfalen in Zusammenarbeit mit dem Institut für Zoo- und Wildtierforschung Berlin zur Frage des Vorliegens von Fortpflanzungsstörungen beim Feldhasen in den Jahren von 1998 bis 2001durchgeführt wurden. Bei diesen Untersuchungen wurden sowohl hinsichtlich der Anzahl der Embryonen pro Satz als auch bezüglich der Anzahl der Sätze im Jahr keine Unterschiede zu Befunden aus früherer Zeit festgestellt. Diese Befunde lassen daher den Schluss zu, dass die unter dem Aspekt der Vielseitigkeit unstrittig stark eingeengte Äsung immer noch so gut ist, dass auch die Vermehrungsrate nicht darunter leidet. Alle gegenteiligen Vermutungen, dass sich die Hasen bedingt durch schlechter gewordenen Äsung nicht mehr so vermehren wie früher, sind nicht zutreffend. Dass die Äsung offensichtlich nicht so schlecht geworden ist, wie oft behauptet wird und wie man das zugegebenermaßen auch annehmen könnte, geht letztlich auch daraus hervor, dass die heutigen Körpergewichte der Hasen gegenüber früher keine signifikant geringeren Werte aufweisen. Zumindest trifft das für die erlegten Hasen zu. Beim Vergleich der Körpergewichte erlegter Wildtiere muss allerdings berücksichtigt werden, dass das Gewicht nicht nur von der Menge und Qualität der Äsung abhängt, sondern daneben noch von einer Reihe anderer Faktoren.

Anhand von Hasenstrecken-Aufzeichnungen kann die Gewichtsentwicklung beobachtet werden. Foto: Karl-Heinz Volkmar

So spielt das Alter eine wesentliche Rolle, so dann das Geschlecht und die Besatzdichte sowie schließlich auch noch der Standort. Ein bei der Hasenjagd erlegter dies jähriger Hase ist in der Regel leichter als ein alter. Fernerweisen die Rammler beim Hasen im Gegensatz zu den meisten anderen Tieren im Durchschnitt eingeringeres Gewicht auf. Weiterhin sind die „Feldhasen“ leichter als die „Waldhasen“. Auch wiegen die Hasen, wenn sie in hoher Besatzdichte vorkommen, durchschnittlich bis zu 200 Gramm weniger als bei

niedriger Dichte. Letztendlich gilt naturgemäß auch beim Hasen die sogenannte Bergmann‘sche Regel, nach der die meisten Tierarten an Körperweiter sie nach Osten vorkommen. So sind die in Ostpreußenoder Ostpolen lebenden Hasen im Durchschnitt bis zu mehr als ein Kilogramm schwerer als die im Rheinland lebenden Artgenossen. Als Beweis für die obige Aussage, dass die Hasen heute im Prinzip noch genau so schwer sind wie früher, seien nachfolgend die Werte angeführt, die sich in dem Buch „Jagdtierkunde“ von E. SCHÄFF aus dem Jahr 1907 finden, und als Vergleich dazu die Gewichte, die in einem rheinischen Revier (Revier Heimerzheim bei Bonn) in den vergangenen sechs Jahren bei 667 Althasen ermittelt wurden. SCHÄFF gibt für Mitteldeutschland ein Gewicht zwischen 3,5 und 4,5 Kilogramm an. In Heimerzheim lag das Durchschnittsgewicht bei 3,72, die schwerste Häsin wog 4,4 Kilogramm. Unter Berücksichtigung des erwähnten Phänomens, dass die Gewichte bei frei lebenden Tieren von West nach Ost angröße und Gewicht zunehmen, je steigen, ergibt sich aus diesen Werten die Schlussfolgerung, dass die Hasen gegenüber früher nicht leichter geworden sind. Bestätigt wird die nach wie vor gute Kondition der Hasen auch durch die bei ihnen vorzufindende Menge an Nierenfett. Sie gilt bei frei lebenden Tieren allgemein als Weiser für deren Konstitution vor dem Winter. Es ist nicht weniger geworden. Fast jeder Hase, der im November und Dezember erlegt wird, weist nämlich, wenn man ihn auswirft, wie früher „fingerdicke Lagen von Fett an den Eingeweiden“ auf, wie sich E. SCHÄFF in dem genannten Buch ausdrückt, insbesondere im Nierenbereich. Häufig ist auch heute noch so viel Nierenfeist vorhanden, dass die Nieren gar nicht zu sehen sind. Solche Bilder gäbe es aber nicht, wenn die Äsung für den Hasen so schlecht geworden wäre, wie es vielfach vor dem Hintergrund des Fehlens der Wildkräuter und der Einengung der Fruchtfolge sowie der Überdüngung behauptet wird. Die Hasen müssten dann vielmehr unterernährt und untergewichtig sein, zumindest die überwiegende Mehrzahl von ihnen. Deutlich abgekommene Hasen findet man bei den Strecken aber so gut wie nicht.

Fazit:

Der Hase benötigt offensichtlich nicht, wie immer angenommen, eine vielfältige Äsung, um in guter Kondition und Fitness zu sein. Er kommt offenbar mit den Pflanzen aus, die in der heutigen intensiv bewirtschafteten Feldflur noch vorhanden sind, auch wenn es sich hierbei oftmals nur um eine einzige Art auf großer Fläche handelt. Wichtiger als ein vielfältiges Pflanzenangebot scheint es für seine Ernährung zu sein, dass er satt wird. Sich satt zu äsen, ist ihm aber heute in fast allen Revieren noch möglich, wenn gleich ihm dazu oftmals im Winterhalbjahr über Wochen hin nur die schüttere Weizensaat zur Verfügung steht. Offensichtlich „funktioniert“ der Hase so wie die Wanderschafe, die sich zumindest im Winterhalbjahr häufig von noch schlechterem Futter ernähren müssen. Ihnen stehen nämlich nicht die Spitzen der frischen Getreidesaat zur Verfügung, sondern vielfach nur altes, abgeweidetes Gras. Mit den vorstehenden Ausführungen sollen aber nicht die Hegebemühungen vieler Revierinhaber in Frage gestellt werden, die auf Stilllegungsflächen kräuterreiche Gemische einsäen, um die Äsung für den Hasen im Revier zu verbessern. Es muss aber gesagt werden, dass nur die Hasen von diesen Maßnahmen etwas haben, die in unmittelbarer Nähe solcher Flächen zu Hause sind. Diese leben dann allerdings äsungsmäßig wie im Paradies. Ziel des Beitrags sollte es sein darzulegen, dass der Hase auch bei der heutigen intensiven Landwirtschaft noch gedeihen kann. Essentielle Voraussetzung ist allerdings, dass die Feldschläge für ihn nicht zu groß werden. Das ist aber der Fall, wenn sie über fünf Hektar Größe hinausgehen, denn ab dieser Fläche wird die Situation für den Hasen kontinuierlich schlechter.

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